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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes
Autoren: Christoph Lode
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gekümmert, sondern auch die Erziehung von Gerards Söhnen übernommen. Dass Raoul sich nicht nur auf den Umgang mit Schwert, Lanze und Bogen verstand, sondern auch lesen und schreiben konnte und Latein beherrschte, verdankte er weder seinem Vater noch seinen Ausbildern am Hof des Herzogs; es war allein Blaises Verdienst.
    Das Innere des Hauses bestand aus einem einzigen Raum, der bis zum Dachgebälk reichte; ein ewiges Halbdunkel, in das wegen der schmalen Fensterschlitze kaum Tageslicht drang. Eine Leiter führte zu einer hölzernen Empore unter dem Dachgebälk. Dort oben hatte Blaise in jüngeren Jahren geschlafen. Jetzt gestatteten ihm seine Gelenke den Aufstieg nicht mehr, und auf den Balken sammelte sich der Staub. Auch der ebenerdige
Teil des Hauses war voller Staub: Er lag in Ecken und Winkeln, auf Truhen, Hockern, Tischen und erfüllte die Luft. Blaise war ein reinlicher Mensch, doch vor seiner Abreise vor einem Monat hatte er den Mägden verboten, während seiner Abwesenheit zu putzen. Er fürchtete, ungeschickte Hände könnten seine kostbaren Schriften in Mitleidenschaft ziehen. Der Arzt besaß davon eine beeindruckende Sammlung: etwa drei Dutzend Schriftrollen und Bücher standen in den Regalen, die den Raum in verwinkelte Abschnitte unterteilten, darunter Texte aus dem Morgenland, von denen es im Reich höchstens ein Dutzend Exemplare gab. Seine Kenntnisse der arabischen Sprache waren es auch, die ihn nach Speyer geführt hatten. Im Auftrag des Erzbischofs hatte er dort ein Buch über Heilkunst übersetzt.
    Raoul konnte die Lichtquelle in dem Labyrinth aus Büchergestellen und Vorhängen nirgendwo ausmachen, also ging er zum hinteren Teil des Raumes, wo Blaise zu arbeiten pflegte. Regale voller Tiegel, Fläschchen und Steintöpfe bildeten die Wände des schmalen Flurs, den er entlangging. Es roch nach Minze, Kampfer, scharfem Pfeffer, Kamille und anderen Dingen, deren Namen Raoul nicht kannte. Die trockene, staubige Luft ließ ihn husten. Kaum war der Anfall vorüber, stand Blaise vor ihm.
    »Raoul«, sagte er. Es war ihm schwer gefallen, das Landgut und Raoul und Jacques und den Rest der Familie für mehrere Wochen zu verlassen, sehr schwer sogar. Aber das hieß nicht, dass er sich beim Anblick von Raoul zu einem Lächeln hinreißen ließ. Sein knochiges, blasses Gesicht schien zu einem solchen Ausdruck nicht fähig zu sein.
    »Blaise, du alte Krähe! Komm her!«
    Raoul vergaß, warum er gekommen war, und umarmte seinen alten Lehrer voller Wiedersehensfreude. Dabei fragte er sich unwillkürlich, ob der Kaplan im letzten Monat um Jahre gealtert war, denn dessen Leib schien um einiges magerer, das
Haar um einiges dünner als vor der Abreise zu sein. Der Ritt und die Arbeit in Speyer mussten ihm zugesetzt haben.
    Sie gingen nach hinten zu einer geräumigen Nische zwischen den Regalen mit einem Tisch voller Schriftstücke. Zwei dicke Talgkerzen brannten dort. Raoul erkundigte sich nach der Reise, aber der Kaplan ging nicht darauf ein. Er nahm einige Pergamente vom Hocker, legte sie zu den anderen auf den Tisch und bedachte Raoul mit einem kurzen, aber durchdringenden Blick.
    »Was ist das für ein Husten? Bist du wieder krank gewesen?« Blaise hielt nichts von müßigem Geschwätz; er kam immer sofort zur Sache.
    Raoul setzte sich. »Es ist derselbe Husten wie bei deiner Abreise.«
    »Derselbe Husten seit fünf Wochen? Gütiger Gott, wieso bist du nicht zu einem Arzt gegangen?«
    »Du warst fort, weißt du noch?«
    »Ich bin nicht der einzige Arzt im Herzogtum. Du hättest nach Metz reiten können. Oder nach Nancy.«
    »Hätte mir ein Arzt in Metz einen anderen Rat gegeben, als mich auszuruhen und ein Keuschheitsgelübde abzulegen?«
    »Nein. Aber wenn du dafür bezahlt hättest, hättest du es vielleicht eher geglaubt als aus dem Mund deines alten Lehrers.« Der Kaplan setzte sich. Er trug ein weites Gewand aus grobem Tuch, in dem seine dürre Gestalt nahezu verschwand. Er sah müde aus, erschöpft von den Wochen im Skriptorium und den Tagen auf dem Rücken seines Pferdes. Doch nichts auf der Welt würde ihn davon abhalten, dieses Gespräch fortzusetzen. Es gab niemanden in Bazerat, der seine Pflichten ernster nahm als Blaise, nicht einmal Jacques. »Entkleide dich«, wies er Raoul an. »Ich muss dich untersuchen.«
    Raoul unternahm einen letzten Versuch. »Blaise, ich bin kein alter Mann, bei dem jedes Wehwehchen gleich das Ende bedeutet. Gib mir eins von deinen Wundermitteln, und ich verspreche dir, es
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