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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes
Autoren: Christoph Lode
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Bewegung vor seinem Fenster, jeden Wechsel von Licht und Schatten genau beobachtete.
    Eine Gestalt erschien am Tor, gehüllt in einen groben Mantel gegen die Kälte. Als sie die Kapuze zurückschlug, sah Raoul die blonden Locken und das runde, hübsche Gesicht, blass von der durchwachten Nacht. Die Augen des Mädchens suchten sein Fenster, und Raoul entdeckte keinen Zorn darin, nur die Frage, warum er nicht gekommen war, so wie er es versprochen hatte.
    François, der von allen Bewohnern Bazerats immer als Erster auf den Beinen war, stapfte zum Tor. Harsche Worte fielen. Das Mädchen weinte und rief Raouls Namen, worauf der alte Soldat das Tor aufriss und das Mädchen anherrschte, zu verschwinden. Es versuchte, an ihm vorbeizukommen, doch François stieß es zu Boden. Bitterkeit und Hass lagen plötzlich im Blick des Mädchens, ehe es aufstand und davonlief.
    Sophie, dachte Raoul. Ihr Name ist Sophie.
    Kurz darauf kam der Schlaf, und er träumte von einem Tunnel, den er hinabrutschte, ohne etwas dagegen tun zu können, hilflos, ausgeliefert, einer Dunkelheit entgegen, die ihn lockte und rief und verhöhnte.
     
    Als er aufwachte, stellte er fest, dass er in seinem Bett lag. Er war nackt, seine Kleider lagen ordentlich auf dem Hocker. Jacques, dachte er und blickte an die vom Alter dunkel gewordenen Balken der Zimmerdecke. Sein Bruder hatte ihn den ganzen Tag schlafen lassen; der Himmel vor dem Fenster war von violetten Streifen durchsetzt. Abend. Fast Nacht.
    Es war ein Moment der Leere, ohne einen klaren Gedanken. Ein Teil von Raoul wusste, wie wertvoll dieser Augenblick war, und er versuchte ihn so lange wie möglich festzuhalten. Aber
schon bald kam die Erinnerung an den gestrigen Tag und mit ihr Verzweiflung und Schmerz. Doch diesmal ließ er nicht zu, dass er davon überwältigt wurde. Er setzte sich auf und überlegte, was er unternehmen konnte.
    Zu Blaise gehen. Ja, das musste er als Erstes tun.
    Er zog sich an und verließ sein Zimmer. Der große Saal wurde von Fackelschein und dem Kaminfeuer erleuchtet, und die Bewohner Bazerats saßen beim Essen zusammen. Jacques, Lysanne und Jean hatten an der Tafel unter den Hirschgeweihen Platz genommen und teilten sich das kalte Fleisch, das vom Sonntag übrig war. Die Waffenknechte und das Gesinde kauerten in den Fensternischen und verzehrten Erbsenbrei und Brot, das sie in Milch tauchten.
    Als Raoul den Saal betrat, verstummten sämtliche Gespräche. Jacqueline, eine junge Magd mit schmalem Gesicht und spitzer Nase, die seit Jahren in ihn verliebt war, starrte ihn an und fing an zu schluchzen. Raoul hatte schon vermutet, dass inzwischen auch der letzte Bedienstete von seiner Krankheit erfahren hatte. Jetzt wusste er es.
    »Wo ist Blaise?«, fragte er in die Stille hinein.
    Jacques war aufgestanden. »In seinem Haus. Er wollte allein essen …« Er wollte noch etwas sagen, suchte nach Worten, doch Raoul war bereits zur Tür gegangen.
    Blicke aus mehr als einem Dutzend Augenpaaren folgten ihm.
    Raoul wandte sich um. »Was ist los mit euch?«, fragte er mürrisch. »Übt ihr schon für meine Trauerfeier?«
    Nun brach auch Lysanne in Tränen aus.
    Allmächtiger, sei mir gnädig, dachte er, als er die Tür zuwarf und die Treppe hinabstieg. Das Schicksal, das Blaise ihm prophezeit hatte, war schon schlimm genug. Aber diese bleierne Hoffnungslosigkeit um ihn herum war einfach zu viel.
    Er stapfte über den menschenleeren Hof und klopfte bei Blaise an. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet. Der Kaplan hielt
eine Öllampe, deren Flamme im Wind zitterte, und blickte ihn schweigend an, das Gesicht ernst wie immer, aber ohne einen vorwurfsvollen Ausdruck darin. Schließlich nickte er nur und ging voraus ins Halbdunkel. Raoul schloss die Tür hinter sich und folgte ihm.
    Sie gingen zur Nische, in der sie gestern gesessen hatten. Statt der Unordnung aus Pergamenten lagen nun zwei in Leder gebundene Folianten auf dem Tisch. Blaise setzte sich und wartete.
    Raoul wusste, dass der Kaplan bei all seiner Strenge und seinem mürrischen Wesen nicht nachtragend war, dennoch fiel es ihm schwer zu sprechen. Er kam sich wegen seines Verhaltens wie ein Narr vor.
    »Es tut mir leid, Blaise. Ich wollte dir nichts antun. Es ist nur … es ist …«
    »Ich weiß«, sagte Blaise ungewöhnlich sanft. »Setz dich.«
    Raoul kam der Aufforderung nach, obwohl es ihm schwerfiel. Die Unruhe, die ihn seit dem Aufwachen erfüllte, wurde immer quälender, und er verspürte den Drang, in der Nische auf und ab
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