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Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Mechtild Borrmann
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hatte sie vor dem Konzert angesprochen. Er hatte von den Musikern im Exil gesprochen und dann Iljas Wienreise erwähnt. »Die Zeiten sind unsicher«, hatte er vorsichtig angedeutet. »Ilja sollte in den nächsten Monaten nicht reisen.« Es hatte wie eine Warnung geklungen.
    Im Mchat-Theater ging das Gerücht, dass Kollegen mit Auslandskontakten verhaftet worden seien. Nach dem Empfang würde sie mit Ilja reden.

    Gemeinsam mit Meschenow und einigen Freunden war sie auf dem Weg aus dem Saal, als Wassili Jarosch, der Pförtner vom Künstlereingang, eilig auf sie zukam.
    »Galina Petrowna«, rief er außer Atem, »bitte warten Sie.«
    Sie wusste es im selben Augenblick. Sie hörte es in der Atemlosigkeit des alten Jarosch. Sie sah es in seinen aufgeregten Armbewegungen.
    »Ein großes Unglück, Galina Petrowna«, sprudelte es aus ihm heraus. »Sie haben Ilja Wassiljewitsch verhaftet, sie haben ihn geholt.«
    Jenes letzte Wort, jenes »geholt«, schien sich auszubreiten wie eine Viertelstunde zuvor die letzten Klänge des Konzertes. Aber es stieg nicht auf, wie die Musik es getan hatte, es lag dumpf und bedrohlich auf ihren Schultern.
    Galina spürte Kälte, sah in den Augen der Freunde den ängstlichen Rückzug, sah, wie die Ersten ihre Köpfe senkten, hörte eilig geflüsterte Verabschiedungen. Andere schüttelten ungläubig die Köpfe, sprachen von Missverständnis, einige Mutige von Skandal. Meschenow erfasste die Situation als Erster und ergriff ihren Arm. Er zog sie über den Hof, hinüber zum Schulgebäude, wo er sein Büro hatte. Kaum dass er die Tür hinter sich geschlossen hatte, schlug er die Hände vors Gesicht, atmete mehrere Male tief durch. »Das kann ich nicht glauben«, flüsterte er wie zu sich selbst. »Das wird sich aufklären. Das muss sich aufklären. Ein unglaubliches Missverständnis! Ja … etwas anderes ist nicht möglich.«
    Dann wandte er sich an Galina. »Wer ist bei Ihren Kindern?«, fragte er.
    Jetzt endlich erwachte Galina aus ihrer Schockstarre.
    »Eine Freundin«, flüsterte sie. »Aber Sie glauben doch nicht …«
    »Nein, nein«, er hielt ihr den Telefonhörer hin, »aber rufen Sie vorsichtshalber an.«
    Mit zitternden Fingern wählte sie die Nummer. Das Freizeichen ertönte, so schien es ihr, hundert Mal, ehe ihre Freundin Edita sich endlich meldete.
    »Galina, du musst sofort kommen.« Edita schluchzte. »Sie haben das Geschirr zerschlagen, die Bücherregale umgeschmissen, sogar die Kinderzimmer haben sie durchsucht.«
    Galina unterbrach sie. »Edita, was ist mit Pawel und Ossip?«
    »Sie sind hier. Pawel weint, aber den beiden ist nichts passiert. Was ist denn bloß los, Galina?«
    Galina spürte, dass ihr Tränen über das Gesicht liefen.
    »Sie haben Ilja verhaftet«, flüsterte sie mit erstickter Stimme, und erst jetzt, indem sie es aussprach, kam das ganze Ausmaß dieser Botschaft bei ihr an. Ihr Verstand gewann die Oberhand. Sie wischte sich die Tränen fort.
    »Edita, kannst du die Kinder mit zu dir nehmen? Ich melde mich so bald wie möglich.«
    Als sie auflegte, sah sie Meschenow an, der zusammengesunken hinter seinem Schreibtisch saß. Entschieden sagte sie: »Ich fahre zur Lubjanka.«
    Der Alte schüttelte den Kopf. »Das hat keinen Sinn, Galina. Man wird Sie nicht vorlassen.«
    Galina nickte. »Das weiß ich, aber ich habe gehört, dass man Auskünfte kaufen kann.«
    Meschenow hob die Hände. »Das sollten Sie auf keinen Fall selber tun.« Er griff zum Telefon, wählte mehrere Telefonnummern, ohne jemanden zu erreichen. Schließlich zog er seine Uhr aus der Westentasche. Es war weit nach Mitternacht. Meschenow versuchte ein aufmunterndes Lächeln. »Ich werde mich kümmern. Morgen früh kann ich ihn sicher erreichen.«
    Er kam um den Schreibtisch herum und tätschelte ihre Wange. »Gehen Sie zu Ihren Kindern«, sagte er. »Ich melde mich, sobald ich etwas weiß.«
    »Wer ist er? Wen wollen Sie erreichen?«, fragte sie.
    Meschenow schüttelte den Kopf. Dann fragte er, wie er sie bei Edita erreichen könne, und versprach noch einmal: »Ich melde mich, sobald ich etwas höre.«

Kapitel 4
    A m Flughafen München mietete er einen Leihwagen und erreichte um kurz vor 22.00 Uhr die Hubertusgasse. Die Pension war schäbig. In dem schmalen Flur roch es nach erkaltetem Zigarettenrauch, über einem Tresen, der wohl als Rezeption diente, baumelte ein Fliegenfänger mit reichlich Beute.
    Er betätigte einen ehemals weißen Klingelknopf, der auf dem Tisch festgeklebt war. Das
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