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Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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vor Lebensfreude. Vom schnellen Lauf war sein Gesicht gerötet. Er warf das dichte Haar aus der Stirn und blickte mit großen Augen zu Mr. Craven auf. Die Augen lachten. Sie waren eingerahmt von langen dunklen Wimpern. Die Augen waren daran schuld, daß Mr. Craven um Atem rang.
    »Wer? — Was?« stammelte er.
    Alles war anders, als Colin es erwartet hatte. So hatte er es nicht geplant. An ein solches Zusammentreffen hatte er nicht gedacht. Und doch — so dahergelaufen zu kommen, als Sieger in einem Wettrennen — das war vielleicht viel besser als sein Plan!
    Mary, die hinter ihm gelaufen kam, fand, er habe sich noch nie so stramm aufgerichtet wie jetzt.
    »Vater«, sagte er. »Ich bin Colin! Du wirst es vielleicht nicht glauben. Ich kann es selber kaum begreifen. Ich bin Colin!«
    Er verstand nicht, was sein Vater meinte, als dieser murmelte: »Im Garten! Im Garten!«
    »Ja«, sprudelte Colin hervor, »es war der Garten! Und es war Mary und Dickon mit seinen Tieren und — der Zauber. Keiner weiß davon. Wir haben das Geheimnis für dich bewahrt. Wir wollten dir alles als erste erzählen. Ich bin gesund. Ich kann Mary beim Wettrennen schlagen. Ich werde ein Athlet!«
    Er sagte es, wie gesunde Jungen so etwas sagen. Sein Gesicht glühte, seine Worte überstürzten sich im Eifer. Mr. Cravens Herz schlug heftig vor Freude. Colin streckte seine Hand aus und legte sie auf seines Vaters Arm.
    »Bist du nicht froh, Vater?« fragte er. »Ich werde für immer und ewig leben!«
    Mr. Craven legte die Hände auf die Schultern seines Sohnes und sah ihn an. Er war nicht imstande, ein Wort zu sprechen. Schließlich faßte er sich und sagte: »Bring mich in den Garten, mein Junge. Und erzähl mir alles.« So führten sie ihn hinein.
    Der Garten war eine einzige, wilde, bunte Pracht. Uberall wuchsen Lilien! Er erinnerte sich, wie sie sie gepflanzt hatten, seine junge Frau und er, damit sie in dieser späten Jahreszeit ihre Pracht entfalteten. Rosen kletterten an Bäumen und Mauern hoch. Der Sonnenschein vertiefte das Gold der Bäume. Man fühlte sich in einem mit Zweigen geschmückten goldenen Tempel. Der heimgekehrte Mann stand still, so wie es die Kinder getan hatten, als sie zum erstenmal hereingekommen waren.

    »Ich dachte, hier würde alles tot sein«, sagte er.
    »Das dachten wir auch, zuerst«, sagte Colin. »Aber das Leben war stärker.«
    Dann setzten sie sich alle unter einen Baum — alle außer Colin. Er wollte stehen, während er seine Geschichte erzählte. Es war die seltsamste Geschichte, die Mr. Craven jemals gehört hatte. Von Zauber und gezähmten Tieren, vom geheimnisvollen Zusammentreffen um Mitternacht, von der Ankunft des Frühlings, von Ben Weatherstaff — von alledem berichtete Colin in kunterbuntem Durcheinander. Die gute Kameradschaft, die Schauspielerei und die Verstellung, die notwendig war, um das Geheimnis zu hüten — alles wurde erzählt. Mr. Craven lachte, bis ihm die Tränen kamen. Manchmal auch kamen ihm aber Tränen — nicht vom Lachen. Der Athlet, der Entdecker, der Wissenschaftler — sein Sohn! Ein liebenswürdiger, gesunder, junger Mensch!
    »Und jetzt«, sagte Colin am Ende seiner langen Geschichte, »jetzt braucht das Geheimnis nicht länger gewahrt zu werden. Ich kann mir vorstellen, wie sie erschrecken werden und Anfälle bekommen, wenn sie mich sehen — aber ich will nie mehr in dem Rollstuhl fahren. Ich will mit dir zurückgehen, Vater — in unser Haus!«
    Ben Weatherstaffs Pflichten erlaubten ihm selten, woanders als im Garten zu sein. An diesem Tag hatte er behauptet, er müsse Gemüse in die Küche bringen. Er war von Mrs. Medlock eingeladen worden, im Dienerzimmer ein Glas Bier zu trinken. Aus diesem Grund war er zur Stelle, als das aufregendste Ereignis, das Misselthwaite in dieser Generation erlebte, stattfand.
    Eines der Fenster gab den Blick auf ein Stück Rasen im Vorhof frei. Da Mrs. Medlock wußte, daß Ben aus dem Garten kam, wollte sie wissen, ob er etwa zufällig seinen Herrn gesehen und ob Mr. Craven vielleicht seinen Sohn im Garten getroffen habe.
    Ben nahm den Bierkrug vom Mund und wischte sich den Schaum mit dem Handrücken ab.
    »Das wohl!« antwortete er mit einem bedeutsamen Ausdruck im Gesicht.
    »Du hast beide gesehen?« fragte Mrs. Medlock.
    »Beide!« entgegnete Ben Weatherstaff. »Ich wäre Ihnen dankbar für ein zweites Glas, Madam.«
    »Zusammen?« fragte Mrs. Medlock und füllte den Bierkrug so hastig, daß er überlief.
    »Zusammen, Madam!« Ben
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