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Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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den Knochen und Muskeln. Ich werde ein Buch über Zauberei schreiben. Ich will den Dingen auf die Spur kommen.«
    Kaum hatte er dies gesagt, da legte er plötzlich seinen Spaten hin und richtete sich auf. Mary und Dickon dachten, er habe einen neuen Einfall. Er reckte sich zu seiner vollen Höhe auf und warf die Arme hoch. Seine eigenartigen Augen strahlten förmlich.
    »Mary! Dickon!« schrie er. »Seht mich an!«
    Erstaunt unterbrachen sie die Arbeit.
    »Erinnert ihr euch an den ersten Morgen, an dem ihr mich hierher­gebracht habt?«
    Dickon betrachtete Colin prüfend. Da er ein Tierbeschwörer war, wußte er manches besser als andere Menschen, und aus diesem Wissen heraus sah er jetzt den Jungen mit gespanntem Interesse an.
    »Ja, wir erinnern uns«, sagte er. Mary blieb stumm.
    »Und jetzt, in dieser Minute«, fuhr Colin fort, »ganz plötzlich kam es mich an — als ich meine Hand mit dem Werkzeug arbeiten sah. Ich mußte mich aufrichten, um zu spüren, daß es wirklich wahr ist. Aber es ist wahr! Ich bin gesund — ich bin gesund!«
    »Stimmt, das bist du«, sagte Dickon.
    »Ich bin gesund! Gesund!« Wiederholte Colin wie im Traum. Er hatte es irgendwie schon immer geahnt, er hatte es gehofft und gefühlt und darüber nachgedacht. Aber in diesem Augenblick hatte es ihn plötzlich durchdrungen wie eine Art von Glauben, und dieser Glaube war so stark, daß er davon reden mußte.
    »Ich werde leben — ewig leben!« rief er. »Ich werde viele, viele Dinge entdecken, vieles lernen über Menschen, Tiere und alles, was lebt. Ich bin gesund! Ich bin gesund! Ich möchte etwas tun. Ich möchte — ich möchte — Danke sagen!«
    Ben Weatherstaff, der nicht weit von ihm an einem Rosenstrauch gear­beitet hatte, sah auf.
    »Du könntest den Lobgesang anstimmen«, schlug er in trockenem Ton vor. Er hielt nicht viel von Lobgesängen und redete eigentlich nur so daher.
    Aber Colin war sofort Feuer und Flamme. Er kannte keine Lobge­sänge. »Was ist das?« fragte er.
    »Dickon kann ihn bestimmt singen«, sagte Ben Weatherstaff.
    Dickon lächelte. »Er wird in der Kirche gesungen«, erklärte er. »Mut­ter sagt, auch die Lerchen singen ihn, wenn sie am Morgen zum Himmel aufsteigen.«
    »Wenn sie es sagt, muß es ein herrliches Lied sein«, antwortete Colin. »Ich bin nie in einer Kirche gewesen. Ich war immer zu krank. Sing, bitte, Dickon. Ich möchte den Lobgesang hören.«
    Dickon zierte sich nicht. Er verstand das, was Colin empfand, besser als Colin selber. Er nahm seine Mütze ab und schaute im Kreis umher.
    »Du mußt deine Mütze auch abnehmen«, sagte er zu Colin. »Und Ben auch. Und alle müssen aufstehen.«
    Colin nahm seine Mütze ab. Die Sonne schien warm auf sein dichtes Haar. Er beobachtete Dickon. Ben Weatherstaff erhob sich mühsam vom Boden und entblößte seinen Kopf. Ein erstaunter, halb verlegener Ausdruck trat in seine Augen, als ob er nicht recht wisse, warum er das alles mitmachte.
    Dickon stand unter den Bäumen zwischen den Rosensträuchern und begann mit seiner starken, schönen Jungenstimme das »Großer Gott, wir loben dich« zu singen.
    Der alte Ben Weatherstaff stand ganz still. Sein Blick ruhte auf Colin. Der Junge sah nachdenklich und ergriffen aus.
    »Ein sehr schönes Lied«, sagte Colin, als Dickon geendet hatte. »Ich liebe es. Ich glaube, es ist genau das, was ich meine, wenn ich von Zauber und von Danken rede.« Er schwieg eine Weile und dachte nach. »Viel­leicht ist Gott der große Zauberer, an den ich die ganze Zeit gedacht habe. Wir können ja nicht immer gleich die richtigen Namen wissen. Sing es noch einmal, Dickon. Laß es uns versuchen, Mary! Ich möchte es lernen. Es ist mein Lied. Wie fängt es an? Großer Gott, wir loben dich —«
    Und sie sangen es noch einmal, und zwar alle Verse. Mary und Colin sangen mit, so gut sie konnten. Bei der zweiten Strophe mußte Ben sich gewaltig räuspern. Bei der dritten fiel er mit solcher Kraft ein, daß es ganz wild klang. Bei der letzten Zeile des Liedes bemerkte Mary, daß es Ben wieder genau so ging wie damals, als er festgestellt hatte, daß Colin kein Krüppel war. Sein Kinn begann zu zittern. Er blinzelte und wischte immer wieder an seinen Augen herum. Seine lederharten Wangen waren feucht.
    »Bis jetzt habe ich nie einen Sinn in dem Lobgesang gefunden«, sagte er heiser. »Aber man kann zur rechten Zeit seine Meinung ändern. Ich möchte wetten, Colin hat in dieser Woche sogar fünf Pfund zugenom­men.«
    Colin schaute über den
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