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Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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vermutlich so ähnlich, als ob man Kinder das Gehen lehrt. Aber ich glaube, ich wäre noch ängstlicher, wenn meine Kinder Flügel hätten statt Beine.«
    »Glauben Sie an Zauber?« fragte Colin plötzlich. »Ich hoffe, Sie glau­ben daran.«
    »O ja, mein Junge. Ich nenne ihn zwar anders, aber welche Rolle spielt schon sein Name. Ich bin sicher, man nennt ihn in Deutschland anders als in Frankreich. Hör du nur nie auf, an ihn zu glauben, dann kannst du ihn nennen wie du magst.«
    »Heute ist es blitzartig über mich gekommen«, sagte Colin und sah sie groß an. »Plötzlich fühlte ich, daß ich mich verändert habe. Meine Arme sind stark geworden und meine Beine auch. Ich kann graben und auf­rechtstehen. Ich bin aufgesprungen und wollte laut jubeln, damit jeder es hören konnte.«
    »Der Zauberer hat gehört, wie du das Loblied gesungen hast«, sagte sie mit Überzeugung.
    Frau Sowerby hatte einen Korb voll Speisen mitgebracht. Es war eine festliche Mahlzeit. Sie beobachtete, wie die Kinder aßen, und freute sich über ihren Appetit. Sie war sehr lustig und brachte die Kinder mit drolli­gen Geschichten zum Lachen. Sie selber konnte sich kaum halten vor La­chen, als sie ihr erzählten, wie schwierig es allmählich wurde, so zu tun, als wäre Colin noch immer ein Kranker.
    »Wir müssen immer so viel lachen, wenn wir zusammen sind, Mary und ich«, erklärte ihr Colin. »Und das klingt natürlich nicht krank. Wir versuchen jedesmal, uns zu beherrschen, aber wir müssen einfach losplat­zen, und dann klingt es noch schlimmer.«
    »Ich kann mir vorstellen, daß ihr viel schauspielern müßt«, sagte Susan Sowerby. »Aber lange braucht ihr das nun nicht mehr. Mr. Craven kommt ja bald heim.«
    »Wie?« rief Colin. »Warum glauben Sie das?«
    Susan Sowerby lächelte. »Ich vermute, dein Herz müßte fast brechen, wenn er von anderen erfahren würde, daß du wieder gesund bist, nicht wahr?«
    »Ich könnte es nicht ertragen. Ich denke mir verschiedene Möglich­keiten aus, wie ich es ihm sagen werde. Am besten wäre es wohl, wenn ich ganz plötzlich in sein Zimmer hineingehen würde.«
    »Das wäre ein guter Anfang«, sagte Susan Sowerby. »Ach, mein Junge, wie gern würde ich sein Gesicht sehen! Er muß zurückkommen, dein Vater, und zwar bald!«
    Sie besprachen noch eine Weile den Plan, einen Ausflug zur Moor­hütte zu machen. Sie überlegten sich alles genau. Sie würden über das Moor fahren und die erste Mahlzeit draußen im Heidekraut einnehmen. Sie würden alle zwölf Kinder kennenlernen und Dickons kleinen Garten sehen. Zurückkehren würden sie erst, wenn sie sehr müde wären.
    Schließlich stand Susan Sowerby auf, um ins Herrenhaus zu Mrs. Medlock zu gehen. Es war ohnehin an der Zeit, Colin ins Haus zurück­zufahren. Aber bevor er in seinem Stuhl Platz nahm, stand er vor Mrs. Sowerby und schaute sie voll Verehrung an. Er faßte nach den Falten ih­res blauen Mantels und hielt sie fest. »Ich wünschte, Sie wären meine Mutter — und Dickon mein Bruder.«
    Susan Sowerby beugte sich über ihn und nahm ihn in ihre Arme. Der feuchte Schleier war wieder in ihren Augen.
    »Lieber Junge«, sagte sie. »Deine eigene Mutter ist hier in diesem Gar­ten, davon bin ich fest überzeugt. Sie kann gar nicht von hier fortgehen! Dein Vater muß zurückkommen. Er muß kommen!«

Im Garten
    Seit der Entstehung der Welt werden in jedem Jahrhundert wundervolle Dinge entdeckt. Im letzten Jahrhundert wurden mehr Entdeckungen gemacht als in allen früheren Jahrhunderten zusammengenommen. Zuerst weigern sich die Menschen, an die erstaunlichen Erfindungen zu glauben. Dann fangen sie an zu hoffen, daß sie Wirklichkeit werden. Dann begreifen sie, daß sie Wirklichkeit geworden sind. Schließlich wundern sie sich, daß man nicht viel eher darauf gekommen ist.
    Zu den neuen Dingen, auf die man kam, gehört die Einsicht, daß Gedanken so mächtig sein können wie elektrisch geladene Batterien — gut wie Sonnenlicht die einen, schlecht wie Gift die anderen.
    Einem bösen Gedanken zu erlauben, daß er sich im Gehirn festsetze, ist genauso schädlich, wie wenn man einem Scharlachbazillus gestattet, in den Körper einzudringen. Wenn der Gedanke sich festsetzt, kann es geschehen, daß man ihn ein Leben lang nicht wieder los wird.
    Solange Mary nur unangenehme Gedanken in ihrem Köpfchen umhertrug, Gedanken der Abneigung gegen ihre Mitmenschen und ihre dumme Überzeugung, daß nichts auf dieser Welt sie interessierte, war sie ein
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