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Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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Garten hinweg. Etwas schien seine Aufmerk­samkeit zu fesseln. Sein Ausdruck war gespannt.
    »Wer ist hier eben hereingekommen?« fragte er hastig.
    Das Tor in der Efeuwand war leise aufgegangen. Eine Frau war einge­treten. Bei der letzten Zeile des Liedes hatte sie still lauschend dagestan­den. Mit dem Efeu hinter ihr, in dem Sonnenlicht, das durch die Zweige fiel und ihren blauen Mantel aufleuchten ließ, sah sie aus wie eines der zartfarbigen Bilder in Colins Büchern. Sie hatte wundervolle Augen, die alles sahen. Ben Weatherstaff und Dickons Tiere und jede blühende Blume. Plötzlich war sie da. Dickons Augen leuchteten wie helle Later­nen.
    »Das ist meine Mutter!« rief er und lief quer durch den Garten auf sie zu.
    Colin trat näher, und Mary Schloß sich ihm an. Beide fühlten, wie ihre Pulse schneller schlugen.
    »Das ist meine Mutter«, sagte Dickon wieder, als sie sich auf halbem Wege trafen. »Ich wußte, daß ihr sie kennenlernen wolltet, und ich habe ihr gesagt, wo die verborgene Tür zu finden ist.«
    Colin streckte seine Hand aus. Er näherte sich ihr scheu, aber seine Augen verschlangen ihr Gesicht.
    »Schon als ich noch krank war, wollte ich Sie so gern sehen. Sie und Dickon und den geheimen Garten. Noch nie habe ich mir so sehr ge­wünscht, jemanden kennenzulernen.«
    Der Anblick des zu ihr erhobenen jungen Gesichts verwandelte ihr ei­genes. Ihre Mundwinkel zuckten, ein Schleier schien sich über ihre Au­gen zu breiten.
    »Mein lieber, lieber Junge«, sagte sie zitternd. »Mein lieber, lieber Junge«, sagte sie noch einmal. Sie sagte nicht »Master Colin«, nur »mein lieber, lieber Junge«. Aber Colin hörte es gern.
    »Sind Sie erstaunt, mich so gesund zu sehen?« fragte er.
    »Sie legte die Hand auf seine Schulter und lächelte, und der Schleier von ihren Augen verflog. »Ja, das bin ich«, sagte sie. »Und du siehst ge­nauso aus wie deine Mutter.«
    »Glauben Sie, daß das meinem Vater helfen wird, mich von jetzt an lieb zu haben?« fragte Colin verlegen.
    »Aber ganz sicher, mein Junge«, sagte sie und gab ihm einen sanften, kleinen Klaps. »Er muß nach Hause kommen. Dein Vater muß sofort nach Hause kommen!«
    »Susan Sowerby«, fiel Ben Weatherstaff ein und drängte sich näher heran, »sieh dir bloß die Beine des Jungen an. Noch vor zwei Monaten waren sie so dünn wie Trommelstöcke. Ich hatte von den Leuten sogar gehört, sie seien krumm und hätten keine Knie. Jetzt schau dir das an!«
    Susan Sowerby lachte hellauf. »Es wird nicht mehr lange dauern, dann sind sie so stark wie die Beine anderer Jungen. Laßt Colin nur weiter spielen und im Garten arbeiten. Laßt ihn weiterhin tüchtig essen und viel gute, süße Milch trinken. Und bald wird es in Yorkshire kein besse­res Paar Jungenbeine mehr geben. Das walte Gott!«
    Sie legte ihre beiden Hände auf Marys Schultern und sah ihr mütter­lich ins Gesicht.
    »Und du auch«, sagte sie. »Du bist so tüchtig gewachsen wie unsere Elisabeth-Ellen. Ich möchte wetten, auch du siehst jetzt deiner Mutter ähnlich. Unsere Martha hat mir erzählt, daß Mrs. Medlock hörte, deine Mutter sei eine wunderschöne Frau gewesen. Du wirst wie eine Blume sein, wenn du groß bist. Gott segne dich, mein kleines Mädchen!«
    Sie erzählte natürlich nicht, daß Martha damals nach Marys Ankunft an ihrem freien Tag nach Hause gekommen war und gesagt hatte, sie könne nicht glauben, daß ein so häßliches bleiches Kind eine so hübsche Mutter gehabt habe.
    Mary hatte in all den Monaten nicht viel Zeit gehabt, sich um ihr Ge­sicht zu kümmern. Sie hatte nur bemerkt, daß sie anders aussah und daß ihr Haar sehr rasch gewachsen war. Aber als sie sich nun daran erinnerte, mit welchem Vergnügen sie damals in Indien die schöne Mem Sahib an­gesehen hatte, war sie sehr froh zu hören, daß sie ihrer Mutter eines Ta­ges ähnlich sein würde.
    Susan Sowerby spazierte mit ihnen durch den Garten. Sie erfuhr noch einmal die Geschichte von dessen Entdeckung. Jeder Busch und jeder Baum, der wider Erwarten am Leben geblieben war, wurde ihr gezeigt. Colin ging an ihrer einen Seite, Mary an der anderen. Beide fühlten sich wohl in ihrer Nähe. Etwas Warmes, Tröstliches ging von ihr aus. Sie beugte sich über die Blumen und sprach mit ihnen, als wären sie Kinder. Die Krähe Ruß saß krächzend auf ihrer Schulter. Als die Kinder ihr von dem Rotkehlchen erzählten und vom ersten Flug der Jungen, lachte sie herzlich.
    »Jungen Vögeln das Fliegen beizubringen, ist
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