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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi
Autoren: Steve Stern
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Pachuco-Kreuzen der Raza Unidas und der Bloods. Cholly lehnte ab, aber Daktari hatte den Ehrgeiz, auf jedem sein Zeichen zu hinterlassen, und eines Nachmittags beim Aufschluss brachte er ein paar Gewichtheber aus dem Hof dazu, Cholly Sidepocket in seine Zelle zu schleppen. Das folgende Getümmel rief die Trachtengruppe auf den Plan, die mit erhobenen Schlagstöcken angerannt kam.
    Cholly kam in einem fensterlosen, nach Desinfektionsmittel stinkenden Loch zu sich, in dem es außer Stahltoilette und -waschbecken, einer schmalen Pritsche und einer dauernd brennenden Deckenlampe keine Einrichtung gab. Er fragte sich, ob er sich das schon die ganze Zeit gewünscht hatte. Vielleicht konnte er hier trotz seines Brummschädels endlich über die Ereignisse nachdenken, die ihn in diese missliche Lage gebracht hatten. Aber in Wirklichkeit war es in der B-Zelle auch nicht viel ruhiger als im Haupttrakt; man konnte noch immer die Affen hören mit ihren Buhrufen, Drohungen und dem Gejammer, dass die CIA in ihrem Gehirn einen Stützpunkt unterhielt. Cholly wusste nicht, ob es besser wäre, sie oder ihn selbst abzuschalten. Da er die Fähigkeit verloren hatte, den Kopf in den Sand zu stecken wie ein Strauß, musste er dem Klirren der Rohrleitungen zuhören, die die Knackis als Telefon benutzten. Im Bunker fiel es ihm schwer, sich den Seelenfrieden vorzustellen, der für ihn als Mitarbeiter des alten jüdischen Predigers ganz selbstverständlich geworden war. Selbst jetzt hätte Cholly nicht sagen können, was an der Verbindung zu dem alten Ganoven mit dem Harem und den durchgeknallten Jüngern diese Erinnerungen auslöste, die er von jemand anders geborgt zu haben schien, Erinnerungen an den Krieger, der er hätte werden können, wenn … Wenn er nicht in Heimen, wo er sich als schwer erziehbar erwies, und in »Gewerbeschulen«, wo er sich ein Arsenal perfider Fähigkeiten aneignete, aufgewachsen wäre. Trotzdem war Cholly, als er den Rabbi bewachte und ihm den Rücken freihielt, schon bald auf die Idee gekommen, dass er jemand ganz anders sein könnte und dass dieser Jemand nicht in den Bau gehörte.
    Die Stimmen, die er hörte - waren das lebende Menschen oder die Geister früherer Isolationshäftlinge, die Typen, deren Namen und Ganginsignien in verblichenem Blut an die Wände geschmiert waren?
    »Yo, Argo, biste da, Alter?«
    »Franklin, du Ebenholzarsch, bist du das?«
    »Echt was für Weicheier, die B-Zelle.«
    »Wie die Faust aufs Auge, Kumpel! Was geht ab bei euch Kackern?«
    Unterbrochen wurden diese körperlosen Dialoge nur, wenn Bremser vorbeikamen oder ein Etagenboy den styroporverpackten Schlangenfraß ablieferte. Doch bald darauf war die Luft wieder rein und die Verpflegung verputzt, und das Geschnatter setzte wieder ein. Auch bei der täglichen Freistunde draußen im umzäunten Hof brach es nicht ab.
    »Habt ihr schon das Geschwafel über die Nigger im Block C gehört?«
    »Der Gorillatrakt? Da oben sind doch bloß Giftler und Stinkefinger.«
    »Sag ich doch: Block C, dritter Stock, leben wie im Gettoparadies, die Typen da oben.«
    »Hast du’n Rad ab, Mann? Das ist doch der volle Quatsch.«
    »Die ham da so nen Geschichtenerzähler, hässlich wie die Nacht finster, der Scheißer, der bringt ihnen bei, wie sie abheben können, ganz ohne Koks und Gras …«
    Cholly zog sich an den Gitterstäben hoch, um vielleicht einen Blick auf die Berge hinter den Mauern zu erhaschen. Doch dann wurde er wieder zurückgerissen von dem Affenlärm, der ihm seine Gedanken einfach aus dem Kopf prügelte. Er nahm es dem Alten übel, dass er seinen Blick für die Möglichkeiten des Lebens geschärft hatte, nur um ihn mit seinen Mätzchen wieder in den Käfig zu bringen. Trotzdem, vor Kurzem hätte er den abgehalfterten alten Knacker noch mit seinem Leben verteidigt, und wahrscheinlich wäre es sogar so weit gekommen, wären nicht die Ladys nackig und »Herzinfarkt!« kreischend aus dem Haus gerannt. Daraufhin verließ Cholly seinen Posten, um nachzuschauen, was da los war, und dann hatten ihn auch schon die Kerle vom SEK am Wickel; er wurde in den County-Knast verfrachtet und konnte dort erst mal einsitzen, bis irgendwann sein Prozess stattfand und er aufgrund einer unklaren Anklage zu einer unendlichen Haftstrafe verurteilt wurde. Er wurde in Eisen in eine Anstalt gekarrt, von der er beim Blick durchs Busfenster nur hoch aufragende Steinwälle vor wolkenverhangenen Bergen wahrnahm. Der Kasten erinnerte ihn irgendwie an das Schloss von
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