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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman
Autoren: Richard Laymon
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kniete. Es erschrak und verwirrte ihn. Schnell stand er auf. »Mir geht’s gut«, sagte er. »Es ist nur … ich hab noch nie … wie geht’s Ihnen?«
    »Ich will hier weg.«
    »Alles in Ordnung?«, fragte er.
    »Nicht unbedingt. Kommen Sie her, ja? Kommen Sie bitte?«
    »Ja. Okay.«
    Neal ging zu ihr. Er fühlte sich schwach und zittrig. Sein rechter Arm, der schlaff an der Seite herunterhing, schwang durch das Gewicht der Pistole hin und her.
    Die Frau war nackt, wie er vermutet hatte. Ihre Haut wirkte gespenstisch bleich bis auf die dunklen Flecken ihrer Augen, Nasenlöcher, Brustwarzen und des Nabels. Und bis auf das Blut. Er nahm zumindest an, dass es Blut war – diese gewundenen schwarzen Bänder, die sich aus mehreren Wunden über ihre Haut zogen.
    »Er hat Sie geschnitten«, sagte Neal.
    »Nicht so schlimm. Ich werd’s überleben. Können Sie mich losbinden?«
    »Klar.« Er wollte die Pistole in seine Hosentasche stecken, doch dann zögerte er und sah hinüber zu dem Mann.
    »Machen Sie sich wegen ihm keine Sorgen.«
    »Ist er tot?«, fragte Neal.
    »Er hat sich nicht mehr bewegt.«
    »Mein Gott.«
    »Es ist in Ordnung. Sie haben das Richtige getan. Er war ein Psychopath.«
    »Behalten Sie ihn im Auge, okay?«
    »Mach ich.«
    Neal schob die Waffe in die Tasche. Dann trat er neben die Frau. Ihr linker Arm war an der Schulter abgeknickt. Das Handgelenk war hinter dem Baumstamm mit einem Seil an das andere gebunden.
    Neal beschloss, an ihrer linken Seite zu bleiben, sodass die Frau und der Baum ihm den Blick auf den schwarz gekleideten Mann versperrten.
    Sie wird mir schon Bescheid sagen, wenn er sich bewegt.
    Mit den Fingerspitzen zupfte Neal an dem straffen Knotengeflecht am Handgelenk der Frau. Seine Augen waren ihm dabei keine Hilfe, deshalb sah er die Frau an.
    Hinter ihrem Oberarm wölbte sich die linke Brust vor. Neal hatte trotz des dürftigen Lichts einen perfekten Blick darauf. Sie war ziemlich klein und wohlgeformt, und der Nippel war aufgerichtet. So nah, dass er ihn hätte berühren können.
    Seine Hände beschäftigten sich weiter mit den Knoten.
    »Ich bin Elise«, sagte sie.
    »Ich heiße Neal.«
    »Gott sei Dank bist du vorbeigekommen.«
    »Ich hab dich um Hilfe rufen hören.«
    »Er hat gesagt, es würde nichts nützen. Er hat gesagt, es würde niemand hören. Und wenn, dann würde derjenige es ignorieren.«
    »Fast hätte ich das gemacht.«
    Die Knoten waren eisenhart angezogen, aber er gab nicht auf.
    Er sah, wie Elises Brustkorb sich ausdehnte und die Brust sich hob, als sie tief einatmete.
    »Ich wollte ein paar Filme zurück zu Video City bringen«, erklärte er.
    »Zu dieser Uhrzeit?«
    »Sie sind um Mitternacht fällig.«
    »Willst du es noch versuchen?«
    »Ich glaube nicht. Es spielt keine Rolle mehr.«
    »Tut mir leid, dass ich deine Pläne durcheinandergebracht habe.«
    »Machst du Witze?«
    »Ich zahle gern den Verspätungszuschlag für dich.«
    »Vergiss es. Echt.«
    »Du hast mir das Leben gerettet«, sagte sie.
    »Ja, sieht so aus.«
    »Es ist so. Mein Gott. Und getötet zu werden … wäre wahrscheinlich noch nicht einmal das Schlimmste daran gewesen.«
    »Also, du wirst dich wieder erholen. Jedenfalls wenn ich die Knoten aufbekomme.«
    »Vielleicht kannst du sein Messer nehmen.«
    Er erinnerte sich an das große Messer, das an seinem Ohr vorbeigeflogen war. »Ich weiß nicht, ob ich es finde. Außerdem sollte ich es besser nicht anfassen. Das würde seine Fingerabdrücke verwischen. Wir sollten wahrscheinlich alles so lassen, wie es ist, damit wir keine Beweise zerstören.«
    »Mich auch?«, fragte sie.
    »Tja … da hab ich noch nicht drüber nachgedacht. Wäre vielleicht keine schlechte Idee. Wenn sie sehen, wie er dich hier angebunden hat …«
    »Ich möchte nicht, dass die Polizisten mich so sehen.« Sie drehte den Kopf, als wollte sie Neal über ihre Schulter anblicken. »Ich möchte nicht, dass mich irgendjemand so sieht.«
    Neal errötete. »Entschuldigung«, murmelte er.
    »Bei dir ist es etwas anderes«, sagte sie. »Du hast mich gerettet. Sieh mich an, so lange du möchtest.«
    »Hm, jedenfalls …«
    »Bist du sicher, dass du die Polizei rufen willst?«
    »Sie tauchen wahrscheinlich jeden Moment auf.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Elise.
    »Irgendjemand hat bestimmt die Schüsse gemeldet.« In dem Moment, als er es aussprach, wurde ihm klar, wie naiv er war. Es verging fast keine Nacht, in der er nicht Geräusche in der Ferne hörte, die wie Pistolenschüsse
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