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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman
Autoren: Richard Laymon
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betrachtete seine behandschuhte Hand. Halb rechnete er damit, dass sie nach ihm griff. Aber sie bewegte sich nicht. Er hob die Zange auf und entfernte sich schnell. Nach ein paar Schritten warf er einen Blick zurück.
    »Er folgt dir nicht«, sagte Elise.
    »Ich weiß.«
    Die Zange in seinen Händen fühlte sich schmutzig an. Als wäre sie besudelt durch all das Leiden, das sie verursacht hatte, und könnte den Schmutz auf ihn übertragen.
    Plötzlich stellte er sich vor, wie er Elises Nippel mit den Backen packte, fest zudrückte und sie zum Schreien brachte.
    Die Vorstellung widerte ihn an.
    Eine verfluchte Zange.
    Es ist nur ein Werkzeug, sagte er sich.
    Wie meine Pistole.
    Er blieb neben Elise stehen, klemmte die Zange unter den Arm und sicherte die Pistole. Dann steckte er sie in seine rechte Hosentasche und nahm die Zange in die Hand.
    »Pass auf damit, ja?«, sagte Elise.
    »Keine Sorge.«
    »Damit kann man jemandem richtig wehtun.«
    »Kann ich mir vorstellen.« Er hielt mit der linken Hand ihren Unterarm fest, packte mit der Zange eine Schlaufe des Knotens und zog daran.
    Er spürte, wie sich der Knoten lockerte.
    »Er löst sich«, sagte er.
    »Gott sei Dank.«
    »Behalt ihn im Blick.«
    »Mach ich.«
    Während er weiter an dem Knoten arbeitete, sagte Neal: »Ich meine, ich weiß, dass er tot ist, aber … Das glauben die Leute immer, oder? Im Film. So wie in Halloween zum Beispiel. Man glaubt immer, der Böse wäre tot, und dann schnappt er einen. Ich weiß, es sind nur Filme, aber …«
    »Manchmal ist das wirkliche Leben schlimmer als ein Film«, unterbrach Elise ihn.
    »Ja. Das kann man wohl sagen.«
    »Und manchmal ist es besser.«
    »Meinst du?«
    »Und es ist immer seltsamer.«
    »Seltsamer?«
    »Ich glaub schon. Ja.«
    »Tja«, sagte Neal, »das hier ist auf jeden Fall äußerst seltsam. Dass ich zufällig genau im richtigen Augenblick vorbeikomme und dich rette.«
    »Ein paar Minuten früher hätte auch nicht geschadet.«
    »Ja. Ich wünschte wirklich …«
    »Das war ein Scherz«, sagte sie. »Ich meine, es wäre wirklich gut gewesen, aber andererseits hätte ich dann vielleicht nicht genau im richtigen Moment geschrien. Ich würde nur ungern die Zeit zurückdrehen und es ausprobieren. Du könntest vorbeifahren, und was würde dann aus mir werden?«
    »Stimmt«, sagte Neal.
    »Ich will mich nicht darüber beschweren, wie es ausgegangen ist. Es grenzt an ein Wunder.«
    »Oder es waren einfach glückliche Zufälle.«
    »Ich glaube nicht an den Zufall«, sagte Elise. »Alles geschieht aus einem bestimmten Grund.«
    »Also … ich glaube, es war dir nicht bestimmt, heute Nacht zu sterben. Ihm hingegen schon.«
    »Und uns war es bestimmt, einander zu begegnen.«
    Er errötete. »Könnte sein.« Dann gab der Knoten endgültig nach. »Geschafft«, sagte er.
    Elise seufzte. Ihr Handgelenk drückte gegen seine Hand, also ließ er es los. Sie schwang den Arm nach vorn und schüttelte das lose Seil ab. Dann trat sie von dem Baum weg. Mit dem rechten Arm riss sie das Seil hinter dem Stamm hervor.
    Sie beugte sich vor und ließ den Kopf hängen.
    Neal betrachtete ihren Rücken und die Kurven ihres Hinterns und die schlanken Beine.
    Es war uns bestimmt, einander zu begegnen.
    »Kannst du mir helfen?«, fragte sie. Sie drehte sich zu ihm und streckte die rechte Hand aus. Das Seil war noch daran festgezurrt.
    »Klar.«
    Als er danach griff, nahm sie seine Hand. Sie hielt sie fest, während er mit der Zange in der anderen am Knoten zerrte. Er versuchte, sie nicht anzustarren. Doch er konnte nicht anders. Manchmal, wenn er fest am Seil riss, wackelten ihre Brüste. Er konnte es sogar in dem schlechten Licht erkennen. Er konnte auch das hübsche kleine Haarbüschel zwischen ihren Beinen sehen.
    Nach einer Weile zwang er sich, wegzuschauen.
    Er blickte stattdessen zu dem Mann, den er niedergeschossen hatte.
    »Noch da?«, fragte Elise.
    »Ja.«
    »Hab ich mir schon gedacht.« Sie hob die linke Hand und legte sie Neal auf die Schulter. »Immer noch keine Polizei«, sagte sie.
    »Bis jetzt nicht.«
    »Ich glaube nicht, dass sie noch kommen. Es sei denn, wir rufen sie selbst. Was wir meiner Meinung nach nicht tun sollten.«
    »Wir müssen«, sagte Neal.
    »Nein, müssen wir nicht.«
    »Doch.«
    Sie drückte fest seine Schulter, aber nicht so fest, dass es wehtat. »Hör zu«, sagte sie.
    Er zog ruckartig mit der Zange am Seil. Die Backen glitten ab, und die Zange flog zur Seite. »Verdammt!«
    »Warte mal kurz. Hör zu.
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