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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow
Autoren: Andrej Kurkow
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nickte. »Spaziere du ein Stündchen hier durch Podol. Ich hab heute einen ruhigen Tag, alle Maschinen laufen. Wenn was dabei rauskommt, rufe ich dich gleich an. Wenn nicht, dann auch!«
    Als sie aus dem Café traten, begann es vom Himmel zu tröpfeln. Koljan warf dem Freund einen Siegerblick zu, spannte den Schirm über seinem Kopf auf, winkte zum Abschied und schritt los, in Richtung Bank.
    Ohne Schirm im – wenn auch nicht starken – Regen herumzulaufen, hatte Igor keine Lust. Er ging zum »Oktober«-Kino und kam gerade richtig, um sich Shrek III anzusehen. Da saß er und lachte von Herzen. Und merkte irgendwann, dass kein einziges Kind im Saal war. Nur Rentner und Rentnerinnen. Einen Augenblick lang wunderte er sich, jedoch nur einen Augenblick, weil der Esel in dem Zeichentrickfilm wieder etwas Lustiges anstellte.
    Als er nach dem Film ins Foyer hinaustrat, erfuhr Igor den Grund der seltsamen und spezifischen Zusammensetzung der Kinobesucher. An der Wand hing eine Bekanntmachung: »Rentner und Ivalide aller drei Gruppen sind zum kostenlosen Besuch unseres Kinotheaters für die Dienstagsvorstellung um 12:00 berechtigt.«
    Draußen hatte der Regen aufgehört. Nur die dicken Wolken am Himmel waren geblieben. Ohne Hast steuerte Igor die Bank an, in der sein Freund arbeitete, und hoffte, dass ihn [15] Koljan in den nächsten zehn, fünfzehn Minuten anrufen würde. Gerade, als er das vertraute Logo der Bank erblickte, klingelte sein Handy in der Jacke.
    »Na, also, komm her!«, sagte Koljan fröhlich.
    »Ich bin schon da!«
    »Soll heißen…?«
    »Gegenüber vom Eingang.«
    Kurz darauf kam Koljan heraus. In seiner Hand entdeckte Igor ein zusammengerolltes Blatt Papier.
    »Na, zeig schon«, bat er den Freund, vor Neugier brennend.
    »Aha! Du meinst, ich zeige dir alles sofort!«, antwortete Koljan hinterlistig. »Nein! Geduld! Du schuldest mir jetzt was. Zufällig bin ich gerade hungrig. Und wenn ich Hunger habe, bin ich böse. Oder wenigstens nicht besonders nett…«
    Koljan zog Igor mit sich zu einem Café, und unterwegs kamen sie am Club ›Petrowitsch‹ vorbei.
    »Oh, guck mal!« Koljan war stehengeblieben und wies auf einen Aushang links vom Club-Eingang.
    »Jeden dritten Freitag RETRO-PARTY . Unter allen Besuchern in Retro-Kostümen verlosen wir eine Fahrt nach Nordkorea, eine Reise nach Kuba und einen Ausflug nach Moskau mit nächtlichem Besuch des Mausoleums.«
    »Cool!« Koljan wandte den glänzenden Blick zu Igor. »Stell dir vor: Nacht im Mausoleum, Dunkelheit, du und… Lenin! Hm?«
    Igor zuckte die Achseln. Er dachte an etwas ganz anderes.
    »Zeigst du es mir jetzt vielleicht?«
    »Nein, auf hungrigen Magen zeige ich dir gar nichts!«, [16] seufzte Koljan und warf einen letzten Blick auf den Aushang, ehe er weiterging.
    Fünf Minuten später betraten sie das Café ›Borschtschik‹.
    »Was soll ich dir bestellen?«, fragte Igor, der begriff, dass Koljan ihn jetzt genüsslich hinhalten und dabei seine freundlich-gereizte Miene beobachten würde, auf der die nach sofortiger Befriedigung verlangende, heiße Neugier zu lesen sein musste.
    »Also! Hauptstadt-Salat, Okroschka-Suppe und Kompott!«, listete Koljan all seine Wünsche auf.
    Igor gab das gleich an die Bedienung weiter. Für sich bestellte er nichts. Er setzte sich Koljan gegenüber.
    »Was ist mit dir, isst du nichts?«, fragte Koljan verwundert.
    »Ich bin schon von deinem Hunger und meiner Neugier satt!« Igor lächelte angespannt. »Na? Zeigst du es mir?«
    »Gut, nimm.« Koljan reichte ihm das papierne Röhrchen.
    Igor entrollte es. Der Ausdruck war schwarz-weiß, genauer: grau-weiß, aber ganz deutlich. Stepans Schulter war darauf nicht zu sehen, dafür Worte und eine Zeichnung. Die Buchstaben waren unregelmäßig, zittrig, bereit, jeden Moment wieder in unverständliche Anhäufungen von Punkten zu zerfallen.
    » OTSCHAKOW 1957. JEFIM TSCHAGINS HAUS «, las Igor. Unter den Wörtern war ein Anker abgebildet. »Wo ist denn Otschakow?«
    »Was, das weißt du nicht?«, sagte Koljan verwundert. »Am Schwarzen Meer, zwischen Odessa und der Krim. Dort in der Nähe liegt auch die Insel Beresan, auf der sie Leutnant [17] Schmidt erschossen haben! Hast du etwa auch nie von Panzerkreuzer Potemkin gehört?«
    Igor nickte, als er sich die ungefähre Lage des Städtchens auf der Karte der Ukraine vorstellte.
    »Wusste er wirklich nicht, was für eine Tätowierung man ihm da gemacht hat?«, fragte Koljan.
    Igor lächelte. Jetzt hatte die Neugier
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