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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow
Autoren: Andrej Kurkow
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jenen Kartoffeln und Schmorfleisch.
    Morgens weckte Igor ein frohes, munteres Prusten, das durchs offene Fenster zu ihm hereindrang. Er sah hinaus und erblickte Stepan, der sich, in nichts als schwarzen Boxershorts, am Brunnen mit kaltem Wasser übergoss.
    Igor bemerkte, dass auf Stepans linkem Oberarm verwischte bläuliche Flecken waren, als hätte jemand ungeschickt eine alte Tätowierung ausgebrannt oder sonstwie zu entfernen versucht.
    Da wurde Igor neugierig. Er ging in den Hof hinaus und bat Stepan, auch über ihn einen Eimer Brunnenwasser auszuleeren.
    Die Kälte brannte, brannte angenehm. Er prustete selbst laut und froh. Und dann fragte er Stepan nach den bläulichen Flecken.
    Zuerst musterte Stepan den mageren, blassen Sohn der Hausherrin zweifelnd, als überlegte er, ob es sich lohnte, mit ihm zu reden. Aber Igors Augen, hellgrün und aufmerksam, lockten einen aus der Reserve.
    »Es ist so«, begann Stepan leise, »ich wüsste ja selbst gern, was da ist! Ich war vielleicht fünf oder vier. Es hat weh getan, ich weiß noch, wie ich geweint habe. Sieht so aus, als hätte mein Vater mit dieser Tätowierung irgendeine Botschaft verschlüsselt. Ob für mich oder für sich, mein Onkel aus Odessa hat es mir nie erklärt. Mein Vater hat mich mit [9] dem Zug zu ihnen nach Odessa geschickt und ist dann selbst verschwunden. Ich sah ihn nie wieder, wuchs bei Onkel Ljowa und Tante Marussja in Odessa auf. Sie haben mir erzählt, dass meine Mutter meinem Vater weglief, als ich etwa drei war. Mehr habe ich von meinem Onkel zu Lebzeiten nicht erfahren. Von ihm weiß ich nur, dass mein Vater kein einfacher Mann war. Saß dreimal in Lagern in Sibirien. Keine Ahnung, wofür. Vielleicht hat er mit der Tätowierung etwas Wichtiges für mich codiert?! Aber ich bin ja gewachsen, die Haut hat sich ausgedehnt und das Bild so verwischt, dass man jetzt nichts mehr erkennt!«
    Auch Stepan betrachtete nun die bläulichen Spuren seiner Tätowierung.
    Igor trat näher und besah sich Stepans linken Oberarm, viele blaue Pünktchen, die weder Bild noch Text ergaben. Er wurde nachdenklich.
    »Wo ist denn dein eigener Vater?«, fragte plötzlich Stepan.
    Igor sah dem Gärtner in die Augen und schüttelte den Kopf. »Irgendwo in Kiew. Meine Mutter hat ihn längst verlassen. Und recht hatte sie.« Igor seufzte. »Er hat uns nicht gebraucht.«
    »Du triffst dich nie mit ihm?«
    Igor zögerte mit der Antwort, überlegte, schüttelte dann wieder den Kopf. »Wozu? Mir geht es auch so gut. Zum Andenken an ihn sind mir ein paar Narben geblieben.«
    »Er hat dich geschlagen?« Kurz wurde Stepans Miene grimmig und böse.
    »Nein. Meine Mutter hat ihn manchmal mit mir in den Park und zum Rummelplatz geschickt. Er hat mich allein [10] gelassen, ist mit Freunden Bier trinken gegangen. Einmal hat mich ein Radfahrer umgefahren und mir den Arm gebrochen. Beim zweiten Mal war es schlimmer…«
    Der Gärtner schnitt eine Grimasse. »Na gut.« Er winkte ab. »Zum Teufel mit ihm! Vergessen wir ihn!«
    Stepans Reaktion belustigte Igor. Er lächelte und vertiefte sich wieder in die von der Zeit verwischte Tätowierung.
    »Man könnte ja versuchen, den Code zu lesen«, sagte er langsam.
    »Wie willst du das denn lesen?«
    »Man muss es fotografieren! Mit einer Digitalkamera. Und dann die Daten durch den Computer laufen lassen. Vielleicht kommt etwas dabei heraus! Ich habe einen Freund, ein Super-Computermann. Der könnte helfen!«
    »Wenn du es lesen kannst, gibt es eine Flasche von mir!«, sagte Stepan, auf dessen Gesicht in diesem Augenblick außer gutmütiger und harmloser Belustigung über den Sohn der Hausherrin nichts weiter zu erkennen war.
    Igor brachte seine Digitalkamera aus dem Haus und schoss ein paar Bilder von diesem Oberarm.
    2
    Nach einem Becher Kaffee mit Milch setzte Igor sich vor den Computer und lud die Bilder aus der Kamera darauf hinüber. Er vergrößerte und verkleinerte, drehte sie hierhin und dahin, aber die mit den Jahren verwischte Tätowierung blieb unverständlich. Die verstreuten bläulichen Punkte wurden zu keiner Zeichnung und keinem Wort.
    [11] »Na gut.« Igor fand sich mit seinem Misserfolg ab. »Ich fahre zu Koljan nach Kiew. Wenn er damit nichts machen kann, dann ist die Sache hoffnungslos. Dann gibt’s keine Flasche vom Gärtner!«
    Er lud die Fotos auf einen USB -Stick und schob ihn in die Tasche seiner Jacke.
    »Mama, ich fahre in die Stadt!«, sagte er zu Elena Andrejewna. »Am Abend bin ich wieder da. Soll ich etwas
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