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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß
Autoren: Stanislaw Lem
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weltanschaulichen Standort aus. Mauvin erhoffte sich für die Agentur ein interessantes Interview mit einem gewissen Manuel Pyrhullo; diesen jagten das FBI, die Sûrete, die Interpol und etliche andere Polizisten, er war nämlich der Gründer eines neuartigen Dienstleistungsbetriebs und empfahl sich als Spezialist für Sprengstoffanschläge, wobei er sich seiner Gesinnungslosigkeit sogar rühmte. Er war gemeinhin unter dem Decknamen »Der Bomber« bekannt. Bald trat ein schönes rothaariges Mädchen an unseren Tisch. Ihre Tracht ähnelte einem ganz und gar von Schnellfeuerserien durchlöcherten Spitzennachthemd. Das war die Abgesandte der Extremisten; sie sollte den Reporter zu ihnen ins Hauptquartier lotsen. Im Fortgehen überreichte mir Mauvin ein Reklameflugblatt Pyrhullos. Ich erfuhr daraus, nun sei endlich Schluß mit der Stümperei unverantwortlicher Dilettanten, die ja unfähig seien, Dynamit von Melinit und Bickford-Zündschnüre von Knallquecksilber zu unterscheiden; im Zeitalter der hochgezüchteten Spezialisierung tue man nichts auf eigene Faust; man vertraue dem Berufsethos und den Kenntnissen gewissenhafter Fachleute. Auf der Rückseite des Flugblattes las ich den Dienstleistungstarif nebst Umrechnung in die Währungen der höchstentwickelten Länder dieser Welt.
    Eben begannen die Futurologen im Büffet einzutreffen; einer von ihnen, Professor Mashkenase, stürzte bleich und schlotternd herbei und schrie, bei ihm liege eine Zeitbombe im Zimmer. Der Barmixer schien mit solchen Lebenslagen vertraut; er rief mechanisch »Deckung!« und verschwand hinter dem Schanktisch. Doch die Hoteldetektive klärten den Fall im Nu: irgendein Kollege hatte dem Professor einen dummen Streich gespielt; in einer alten Keksdose tickte ein simpler Wecker. Das sah mir nach einem Engländer aus, die schwärmen ja für sogenannte »Practical Jokes«. Aber der Vorfall war schnell vergessen, denn J. Stantor und J. G. Howler, beide von UPI, brachten uns den Text einer Verbalnote der amerikanischen Regierung an die costricanesische, zum Thema der entführten Diplomaten. Das Schriftstück war in der üblichen Sprache diplomatischer Noten abgefaßt und nannte weder das Bein noch die Zähne beim Namen. Jim teilte mir mit, daß die örtliche Regierung drastische Maßnahmen erwog.
    Der Machthaber, General Apollon Diaz, begünstigte die »Falken«, die ihm empfahlen, Gewalt mit Gewalt niederzuzwingen. Das Kabinett beriet in Permanenz, unter anderem über folgenden Vorschlag einer Gegenoffensive: den politischen Häftlingen, deren Freigabe die Extremisten fordern, reißt man doppelt so viele Zähne aus. Und da die Stabsadresse der Extremisten nicht bekannt ist, sendet man ihnen diese Zähne postlagernd. Die Luftpostausgabe der New York Times appellierte in Sulzbergers Worten an Vernunft und Gemeinsinn der menschlichen Rasse. Stantor sagte mir im Vertrauen, die Regierung habe einen Eisenbahnzug mit geheimem Kriegsmaterial requiriert, Eigentum der USA, das auf costricanesischem Gebiet als Durchfuhrgut nach Peru unterwegs gewesen sei. Futurologen zu entführen, schien den Extremisten vorerst nicht einzufallen; in ihrem Sinne wäre das gar nicht dumm gewesen, denn Costricana beherbergte im Augenblick mehr Futurologen als Diplomaten. Ein hundertstöckiges Hotel ist jedoch ein eigener Organismus, so riesig und gegen den Rest der Welt so luxuriös abgeschirmt, daß Nachrichten von draußen nur wie von der anderen Erdhälfte herüberdringen. Vorläufig war bei den Futurologen nichts von einer Panik zu merken. Das hoteleigene Reisebüro verzeichnete keinen Massenansturm auf Flüge nach den Vereinigten Staaten oder sonstwohin. Für zwei Uhr war das offizielle Eröffnungsbankett anberaumt, und ich hatte noch nicht Zeit gefunden, den Abendpyjama anzulegen. Ich fuhr also auf mein Zimmer und dann schleunigst hinunter in den 46. Stock zum Purpursaal. Im Vorraum nahten sich mir zwei bezaubernde Mädchen in Pumphosen, oben ohne, die Brust mit Vergißmeinnicht und Schneeglöckchen bemalt. Die beiden überreichten mir ein glänzendes Faltblatt. Ich sah es gar nicht an und betrat den Saal. Er war noch fast leer; der Anblick der Festtafel benahm mir den Atem, nicht weil sie üppig gedeckt war, nein, schockierend wirkten die Formen aller Pasteten, Vorspeisen und Beilagen. Sogar die Salate waren Geschlechtsteilen nachgebildet. Von optischer Täuschung konnte keine Rede sein, denn aus diskret versteckten Lautsprechern drang ein in gewissen Kreisen beliebter
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