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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß
Autoren: Stanislaw Lem
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Rezeptionsangestellten entschuldigte sich untertänig und feierlich für die Betriebsstörung, die soeben bereits behoben worden sei. Ich öffnete die Tür zum Korridor, um das Zimmer zu durchlüften. Soviel ich merken konnte, herrschte Stille im Hotel. Taumelig und immer noch von Segnungsdrang und Zärtlichkeitswillen übersprudelnd, ließ ich die Tür wieder ins Schloß schnappen, setzte mich mitten im Zimmer nieder und stürzte mich in den Kampf mit mir selbst. Mein damaliger Zustand ist ungemein schwer zu beschreiben. Das Denken ging mir durchaus nicht so glatt und eindeutig vonstatten, wie ich es hier wiedergebe. Jede kritische Reflexion war gleichsam in Honig eingetaucht, von einem Kinderschleck aus dümmlichem Selbstbehagen umsponnen und gelähmt; jede einzelne troff vom Sirup positiver Gefühle; mein Geist schien im süßesten aller erdenklichen Bruchmoore zu versinken, so, als ersöffe ich in Rosenöl und Zuckerguß. Gewaltsam rief ich mir möglichst widerwärtige Dinge ins Gedächtnis: den bärtigen Schuft mit dem doppelläufigen Papstjagdgewehr, die verlotterten Verleger Befreiter Literatur und ihr Gelage von Babel und Sodom, dann wieder die Herren W. C., J. C. M. und A. K. und viele andere Schufte und Halunken, aller nur, um mit Schrecken feststellen zu müssen, daß ich alle liebte und allen alles vergab. Überdies hüpften sofort aus meinen Gedankengängen wie Stehaufmännchen die Rechtfertigungen für alles Böse und Scheußliche. Die Hochflut der Nächstenliebe sprengte mir den Schädel; besonders plagte mich etwas, was sich am ehesten als »Drang zum Guten« bezeichnen läßt. Statt an psychotrope Gifte dachte ich gierig an die Witwen und Waisen, deren ich mich mit Wonne angenommen hätte. Ich wunderte mich immer mehr: wie hatte ich sie bislang so wenig beachten können! Und die Armen, und die Hungernden, und die Kranken, und die Elenden, du lieber Gott! Ich ertappte mich dabei, vor dem Koffer zu knien und alles auf den Fußboden herauszuwerfen, um alle halbwegs guten Sachen auszusuchen und an die Bedürftigen zu verschenken. Und wieder ertönten in meinem Unterbewußtsein schwache Alarmstimmen. »Paß auf! Laß dich nicht einwickeln! Kämpfe, stich, tritt, rette dich!« – rief etwas in mir, schwach, aber verzweifelt. Ich war grausam entzweigerissen. Ich verspürte eine so gewaltige Portion des kategorischen Imperativs, daß ich keiner Fliege ein Haar gekrümmt hätte. – Wie schade – dachte ich –, daß es im Hilton keine Mäuse gibt, ja, nicht einmal Spinnen! Wie hätte ich sie geherzt, vergöttert! Fliegen, Wanzen, Ratten, Stechmücken, Läuse, geliebte Geschöpfchen, o du gewaltiger Gott! – Flüchtig segnete ich Tisch und Lampe und die eigenen Beine. Doch Spuren von Nüchternheit verblieben mir nun. Unverzüglich drosch ich daher mit der Linken auf die segnende Rechte und wand mich vor Schmerz. Das war nicht übel! Das konnte vielleicht mein Heil sein! Der Drang zum Guten wirkte glücklicherweise von innen nach außen: anderen gönnte ich weit Besseres als mir selbst. Fürs erste knallte ich mir ein paar in die Fresse, daß die Wirbelsäule knirschte, während Sterne vor den Augen tanzten. Gut! Nur so weiter! Als das Gesicht fühllos wurde, trat ich mir gegen die Fußknöchel. Zum Glück trug ich schwere Schuhe mit verdammt harten Sohlen. Nach der wilden Tritt-Kur fühlte ich mich einen Moment lang besser, das heißt, schlechter. Vorsichtig versuchte ich mir auszumalen, wie es wäre, auch Herrn J. C. M. zu treten. Es war nicht mehr so völlig unmöglich. Die Knöchel beider Füße taten verteufelt weh; vermutlich dank dieser Selbstmißhandlung gelang es mir sogar, Herrn M. W. einen Rippenstoß zuzudenken. Ohne mich um den quälenden Schmerz zu kümmern, trampelte ich weiter auf mir herum. Brauchbar war alles Spitzige, ich benutzte also eine Gabel und dann die Stecknadeln aus einem noch nie getragenen Hemd. Dies alles verlief aber nicht glatt, sondern eher in Wellen; minutenlang hätte ich mich wieder für die gute Sache verbrennen mögen; von neuem sprudelte in mir ein Geiser höheren Edelmuts und selbstvergessener Tugend. Aber es gab keinen Zweifel: Im Leitungswasser war etwas drinnen! Moment mal!!! Im Koffer schleppte ich ja seit langem die unangebrochene Packung eines Schlafmittels mit mir herum, das mich jedesmal finster und aggressiv gestimmt hatte; eben deshalb verwendete ich es nicht mehr; ein Glück, daß ich es nicht weggeworfen hatte! Ich schluckte eine Tablette und spülte mit
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