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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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diesen offen zur Schau getragenen Widerstand mit einem hündischen Lächeln.
    »Das muß in der Familie liegen. Ihr habt alle einen Hang zum Heldentum«, kommentierte er mit gespielter Freundlichkeit. »Ihr fangt an, mir zu gefallen.«
    »Was wollen Sie?« sagte Alicia und bemühte sich, alle Geringschätzung, zu der sie fähig war, in ihre zittrige Stimme zu legen.
    Cain schien über die Frage nachzudenken und zog sich bedächtig die Handschuhe aus. Alicia bemerkte, daß seine Nägel lang und scharf wie Dolchspitzen waren. Cain deutete mit einem dieser Nägel auf sie.
    »Das kommt darauf an. Was schlägst du mir vor?« säuselte der Magier, ohne seinen Blick von Alicias Gesicht abzuwenden.
    »Ich habe nichts, was ich Ihnen geben könnte«, erwiderte Alicia und warf einen verstohlenen Blick auf die offene Tür der Kajüte.
    Doch Cain erriet ihre Gedanken und bewegte verneinend den Finger.
»Das wäre keine gute Idee«, sagte er. »Laß uns auf unser Thema zurückkommen. Warum schließen wir keinen Vertrag? Ein Bündnis unter Erwachsenen gewissermaßen.«
»Was für einen Vertrag?« entgegnete Alicia. Angestrengt versuchte sie. Cains hypnotischem Blick auszuweichen, der ihren Willen mit der Gefräßigkeit eines Seelenparasiten auszusaugen schien.
»So gefällt es mir, sprechen wir über Geschäfte. Sag, Alicia, würdest du gerne Jacob retten – Verzeihung, Roland? Er ist ein netter Junge, finde ich«, sagte der Magier und betonte dabei jedes einzelne Wort mit unendlicher Zartheit.
»Was wollen Sie dafür haben? Mein Leben?« erwiderte Alicia. Die Worte sprudelten aus ihrer Kehle hervor, ohne daß ihr Zeit zum Denken blieb. Der Magier kreuzte die Arme über der Brust und runzelte nachdenklich die Stirn. Alicia fiel auf, daß er niemals blinzelte.
»Ich hatte an etwas anderes gedacht, meine Liebe«, erklärte der Magier, während er mit der Kuppe seines Zeigefingers über seine Unterlippe strich. »Wie wäre es mit dem Leben deines ersten Sohnes?«
Cain kam langsam auf sie zu und brachte sein Gesicht nah an das ihre. Alicia roch den intensiv süßen und ekelerregenden Geruch, der von Cain ausging. Sie hielt seinem Blick stand und spuckte ihm mitten ins Gesicht.
»Zur Hölle mit Ihnen«, sagte sie, ohne ihren Zorn zu zügeln.
Die Tropfen von Spucke verdampften, als wären sie auf eine glühende Metallplatte getroffen.
»Mein liebes Mädchen, von dort komme ich her«, entgegnete Cain.
Langsam streckte der Magier seine bloße Hand nach Alicias Gesicht aus. Das Mädchen schloß die Augen und spürte die eiskalte Berührung seiner Finger und die langen, spitzen Krallen auf ihrem Gesicht. Der Moment kam ihr endlos vor. Schließlich hörte Alicia, wie seine Schritte sich entfernten und wie die Tür der Kajüte sich wieder schloß. Alicia verspürte den Drang zu weinen und so lange auf die Wände einzuschlagen, bis ihre Wut verraucht wäre, aber sie nahm sich zusammen, denn sie wollte bei klarem Verstand bleiben und nicht die Kontrolle über sich verlieren. Sie mußte hier herauskommen, und sie hatte nicht viel Zeit zur Verfügung, um das zu schaffen.
Sie ging zur Tür und tastete ringsherum alles ab, auf der Suche nach einer Öffnung oder einer Ritze, nach irgendeiner Stelle, an der sie versuchen konnte, ihr Gefängnis aufzubrechen. Nichts. Cain hatte sie in einem Sarg aus rostigem Aluminium eingesperrt, bei den vermoderten Gebeinen des alten Kapitäns der Orpheus . In diesem Moment erschütterte ein heftiger Stoß das ganze Schiff, und Alicia fiel vornüber auf den Boden. Nach wenigen Sekunden drang ein leises Geräusch aus dem Inneren des Schiffes. Alicia legte ihr Ohr an die Tür und horchte aufmerksam – es war eindeutig das Rauschen von fließendem Wasser. Und zwar von sehr viel Wasser: Voller Panik begriff Alicia, was vor sich ging: Der Schiffsrumpf war dabei, sich mit Wasser zu füllen, und die Orpheus sank zum zweiten Mal, mit den Schiffsräumen voran. Diesmal konnte sie den Schrei des Entsetzens nicht unterdrücken.
    Roland war auf der Suche nach Alicia durch das ganze Schiff gelaufen, ohne Erfolg. Die Orpheus hatte sich in eine labyrinthische Unterwasserkatakombe verwandelt, mit endlosen Korridoren und verriegelten Türen. Der Magier konnte sie an zahllosen Plätzen versteckt haben. Er kehrte zur Kommandobrücke zurück und versuchte, systematisch zu überlegen, wo sie gefangen sein konnte. Eine Erschütterung, die durch das ganze Schiff ging, ließ ihn das Gleichgewicht verlieren, und er fiel auf den feuchten und
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