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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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werde es dir nicht noch einmal sagen«, drohte der Magier mit metallischer, lebloser Stimme.
»Halt still, oder du wirst es bereuen. Hast du mich verstanden?«
Der Magier verstärkte den schmerzhaften Druck seiner Finger, und Alicia befürchtete, daß Cain, wenn er nicht aufhörte, die Knochen ihres Handgelenks zermalmen würde, als wären sie aus trockenem Ton. Es war nutzlos, Widerstand zu leisten, und so nickte sie nervös. Cain lockerte seinen Griff und lächelte. Es lag weder Mitleid noch Höflichkeit in diesem Lächeln, nur Haß. Der Magier ließ sie los, und Alicia fiel auf das Deck, wobei sie mit der Stirn auf dem Metall aufschlug. Sie tastete ihre Haut ab und spürte das beißende Brennen einer Platzwunde.
Ohne ihr einen Augenblick Ruhe zu gewähren, packte Cain sie wieder am Arm und zerrte sie ins Innere des Schiffes.
»Steh auf«, befahl der Magier und stieß sie über einen Korridor, der hinter der Brücke der Orpheus
entlang zu den Deckskajüten führte.
Die Wände waren geschwärzt und von Rost und einer schmierigen Schicht dunkler Algen bedeckt.
Das Innere der Orpheus war durch eine Handbreit schlammiges Wasser überschwemmt, das Übelkeit erregende Dämpfe frei werden ließ. Abfall trieb umher und schaukelte bei dem starken Schwanken des Schiffes in der Brandung. Cain packte Alicia an den Haaren und öffnete eine der Türen, die in eine Kajüte führte. Eine Wolke aus Gasen und dem Dunst von verfaultem Wasser erfüllte die Luft. Alicia hielt den Atem an. Der Magier zog fest an ihren Haaren und schleifte sie bis zur Tür der Kajüte.
»Die beste Suite des Schiffes, meine Liebe. Die Kapitänskajüte für meinen Ehrengast. Viel Vergnü gen in dieser Gesellschaft.«
Cain stieß sie brutal in die Kajüte hinein und sperrte die Tür hinter sich zu. Alicia fiel auf die Knie und tastete die Wand hinter sich ab, auf der Suche nach einer Stelle zum Anlehnen. Die Kajüte war fast ganz in Dunkelheit getaucht, der einzige Lichtschein, der hereindrang, kam durch ein armseliges Bullauge, das in den langen Jahren unter Wasser von einer dicken, halbdurchlässigen Kruste aus Algen und organischen Resten bedeckt worden war. Die Erschütterungen des Schiffes im Sturm warfen Alicia gegen die Wände der Kajüte. Sie klammerte sich an ein verrostetes Rohr und spähte in das Halbdunkel, während sie darum kämpfte, sich von dem durchdringenden Gestank abzulenken, der diesen Ort beherrschte. Ihre Augen brauchten ein paar Minuten, bis sie sich an die schlechten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, doch schließlich konnte Alicia die Zelle genauer betrachten, die Cain ihr zugedacht hatte. Es war kein anderer Ausgang zu sehen als die Tür, die der Magier verriegelt hatte, als er gegangen war. Alicia suchte verzweifelt nach einer Eisenstange oder einem anderen harten Gegenstand, mit dem sie versuchen konnte, die Kajütentür aufzubrechen, aber sie fand nichts. Während sie im Halbdunkel nach einem Werkzeug herumtastete, streiften ihre Hände über etwas, das an die Wand gelehnt war.
Alicia trat erschrocken beiseite. Die fast unkenntlichen Überreste des Kapitäns der Orpheus fielen ihr vor die Füße, und schaudernd begriff Alicia, was Cain gemeint hatte, als er von ihrer »Gesellschaft«
gesprochen hatte. Das Schicksal hatte dem Fliegenden Holländer übel mitgespielt... Das Getöse des Meeres und das Brausen des Sturms erstickten Alicias Schreie.
    Roland kam auf seinem Weg zur Orpheus nur mühsam vorwärts. Immer wieder zog ihn die tobende Gewalt des Meeres unter Wasser, um ihn dann in einem Wellenbrecher wieder an die Oberfläche zu werfen, umspült von einem Wirbel aus Gischt, den er nicht bändigen konnte. Vor ihm kämpfte das Schiff mit den Mauern aus Brandung, die das Unwetter gegen seinen Rumpf schleuderte.
    Je näher er an das Schiff herankam, desto schwieriger wurde es für ihn, in der heftigen Wucht des Meeres seine Richtung selbst zu bestimmen. Die Strömung riß ihn hin und her, und Roland befürchtete, daß ein unerwarteter Schlag der Brandung ihn gegen den Rumpf der Orpheus schmettern und ihm das Bewußtsein rauben könnte. Wenn das geschah, würde das Meer ihn gefräßig verschlingen, und er würde niemals zur Oberfläche zurückkehren. Roland tauchte unter, um dem Kamm einer Welle auszuweichen, die heranbrandete. Er kam wieder nach oben und beobachtete, wie sich die Welle zur Küste hin entfernte und ein Tal aus trübem, bewegtem Wasser hinter sich ließ.
    Die Orpheus befand sich jetzt kaum ein Dutzend Meter von
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