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Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Titel: Der Frühling - Hyddenworld ; 1
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Wolken flimmert, und mit dem Gurgeln der Bäche, das mit der Schmelze des Winterschnees und dem Regen im späten Januar anhebt, mit dem Erwachen neuen Lebens und wiedergefundener Freude.
    Niemand kann mit Gewissheit sagen, zu welcher Stunde oder an welchem Tag der Frühling tatsächlich beginnt, doch im nördlichen Teil von Hyddenwelt wird der erste Frühlingstag willkürlich auf den 1. Februar nach dem menschlichen Kalender gelegt, und ebendies war der Grund, warum Master Brif und seine Freunde trotz der nasskalten Witterung in südwestlicher Richtung aus Brum hinaus zum Waseley Hill gezogen waren und die Jahreszeit mit einem warmen Trunk und einem Freudenfeuer begrüßt hatten. Der Met war stark gewesen, und sie schliefen und schnarchten noch.
    Der Vierte unter ihnen, der »Halbe«, wie er, obschon groß für sein Alter, bisweilen von Brif genannt wurde, hieß Bedwyn Stort und war Brifs Gehilfe. Er lag abseits von den anderen und war fest in einen alten schwarzen Müllsack aus Plastik gewickelt – ein ausgefallener, aber durchaus wirksamer Schutz gegen die Feuchtigkeit. Er trank nieeinen Tropfen und war, wie es schien, ein unruhiger Schläfer. Ein unbeschuhter Fuß hatte sich auf der einen Seite einen Weg aus dem Sack in die Freiheit erzwungen, während der andere verdreht in einer Ecke feststeckte.
    Ein Arm, der in einer sommersprossigen Hand endete, hatte sich über den Rand des Grabens geworfen, als versuche er, dem Körper zu entfliehen. Die andere lag fest auf dem Gesicht, um die Augen vor dem Dämmerlicht zu schützen.
    Doch vergebens.
    Finger spreizten sich, ein Auge ging auf und wieder zu, ehe die Hand schließlich ganz wegzogen wurde, ihr Besitzer langsam beide Augen öffnete und neugierig umherspähte, so als wisse er nicht recht, wo oder gar wer er war.
    Seine lange Nase schnupperte, und als er den Nebel sah, der in der Luft und über seinen schlafenden Gefährten waberte, nahm sein Gesicht einen überraschten, ja erstaunten Ausdruck an.
    Er setzte sich auf und schälte sich aus dem Sack, sodass seine normale Kleidung zum Vorschein kam, bestehend aus einem Anzug aus Harris-Tweed, den er nach eigenem Entwurf selbst geschneidert hatte und der mit so vielen ausgebeulten Taschen unterschiedlicher Form und Größe versehen war, dass sich unmöglich sagen ließ, wo eine aufhörte und eine andere anfing.
    Es war der Nebel, der ihn stutzig machte.
    »Seltsam«, murmelte er, »er bewegt sich, als sei er aufgewirbelt worden. Das bedeutet, dass ihn irgendetwas aufgewirbelt hat, etwas Großes.«
    Er vernahm ein Schnauben.
    »Ein Pferd«, sagte er laut zu sich selbst, was er häufig tat, wenn er scharf überlegte. »Aber kein gewöhnliches Pferd.
Kein gewöhnliches Pferd!«
    Er blickte zu den Gefährten, sah, dass sie fest schliefen, und stemmte sich aus dem Graben in das Gras darüber. Dort blieb er reglos stehen, legte den strubbeligen Kopf mit den abstehenden Ohren auf die Seite und lauschte.
    »Sehr sonderbar«, sagte er und fügte mit heiterer, aber ernster Ironie hinzu: »Wirklich
wurdig.«
    Denn »Wurd« ist das, was Menschen manchmal Schicksal oder Fügungnennen. Für die Hydden ist die Wurd aber nichts Unausweichliches, sondern die Folge von Entscheidungen, und sie wissen, dass eine Entscheidung ein Leben für immer verändern kann. Deshalb muss die Wurd ernst genommen werden.
    Bedwyn Stort zögerte nur kurz, bevor er, ohne an seine Sicherheit zu denken, den Hügel hinaufstieg, in den Nebel hinein. Er war erst elf Jahre alt, aber seine Neugier und sein Streben nach Antworten eilten der Angst vor etwaigen Gefahren, die sein Tun heraufbeschwor, weit voraus.

3
DER PAKT
    W as immer Imbolc in dieser letzten Spanne ihrer bislang fruchtlosen Suche nach ihrer Schwester und Nachfolgerin, der Schildmaid, zu sehen erwartet hatte, es war jedenfalls nicht dieser sonderbar gekleidete und schlaksige junge Hydden, der jetzt, noch ein halbes Kind, durchs feuchte Gras zu ihr heraufgestapft kam.
    Der Schimmel hatte sich zurückgezogen, und so stand sie alleine da und überlegte, ob sie eine andere Gestalt annehmen sollte, denn es gab wenige Sterbliche, die einer Unsterblichen in die Augen sehen konnten. Diesmal sagte ihr ein Gefühl, dass sie so bleiben sollte, wie sie war.
    Friedensweberinnen haben keine gewöhnlichen Augen und sehen im Spiegel der Wirklichkeit nicht nur das jüngste, neueste Abbild dessen, was sich ihnen darbietet. Sie sehen auch, was der Spiegel einst gezeigt hat und dereinst zeigen wird. Sie sehen dies
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