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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi
Autoren: Maurizio de Giovanni
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gekauft hatte und dass die Blumen in der neuen Jahreszeit miteinander wetteifern würden, die Farben auf dem Balkon mit denen im Haus.
    Aber Carmela sollte der Frühling versagt bleiben. Die Blumen dagegen nicht; die würde sie bekommen. Aber sie würde sie nicht mehr sehen.

    Emma drehte sich vorsichtig auf die Seite. Sie war darauf bedacht, ihren Mann nicht aufzuwecken, der links neben ihr schlief. Aus Erfahrung wusste sie, dass die tausend kleinen Beschwerden dieses alten Egoisten schlimmer werden würden, wenn eine Bewegung der weichen Wollmatratze ihn zu früh aus dem Schlaf holte. Im Halbdunkel beobachtete sie sein Profil; durch die Seidengardinen drang das Licht der Straßenlaternen. Hatte sie ihn jemals geliebt? Falls ja, erinnerte sie sich nicht daran.
    Sie lächelte im Dunkeln, ihre Katzenaugen leuchteten. Keine Nacht mehr, kein Frühling mehr ohne Liebe. Ihr Mann schlief mit offenem Mund, mit Haarnetz und bis zum Hals zugeknöpftem Nachthemd. Oh Gott, wie sehr ich ihn hasse, dachte sie.

    Jenseits der Holzbretter, mit denen die Tür der Kellerwohnung verbarrikadiert war, hörte Gaetano die Mäuse durch die Gasse huschen. Tagsüber verkrochen sie sich in den Einlaufschächten der neuen Abwasserkanäle, mit Ausnahme der fetten und kranken Exemplare, die von den Kindern gejagt und getötet wurden; nachts allerdings, und zwar schon seit einer Woche, hörte er sie herumflitzen. Vielleicht waren wärmere Tage im Anmarsch. Seine Mutter war endlich eingeschlafen. Noch bis vor einer Stunde hatte er ihre unterdrückten Schluchzer neben sich gehört; dann hatte die Müdigkeit doch gesiegt. Nun lagen zwei, drei Stunden Frieden vor ihr, bevor alles von neuem begann. Gaetano schlief nicht, sondern dachte an das, was beschlossen war. Es musste sein, sie konnten so nicht weitermachen. Sanft schloss er die Augen und wartete, wie jede Nacht, auf den Morgen.

    Attilio konnte nicht einschlafen. Heute Abend war er grandios gewesen, aber wie üblich hatte niemand es bemerkt. Während er im Dunkeln dalag und rauchte, spürte er, wie die Enttäuschung, Begleiterin so vieler Nächte, ihm zu schaffen machte. Ohne etwas erkennen zu können, ließ er seinen Blick schweifen; es gab ja ohnehin nichts zu sehen, dachte er, höchstens Trostlosigkeit. Und doch fühlte er es und hatte es immer gefühlt: Eines Tages würde er reichund berühmt sein, von allen verehrt und angebetet. Wie dieser eingebildete Lackaffe, der ihm absolut nichts voraus hatte. Fangen wir beim Geld an. Das Geld bringt auch den Rest. Seine Mutter hatte es ihm schon immer gesagt, von Kindheitstagen an. Das Geld kommt vor allem anderen. Eine Woche noch. Dann war Schluss mit trostlosen Zimmern in schäbigen Pensionen.

    Filomena schlief unruhig. Sie träumte. Im Traum stand sie vor ihrer Tür und sah sich selbst heraustreten, eingehüllt in einen langen schwarzen Schal, den sie wie immer auch um ihr Gesicht geschlungen hatte, um es zu verbergen.
    Auf der Tür prangte in riesigen roten Buchstaben das Wort HURE. Einfach so, ganz schlicht und eindeutig: wie ein Familienname. Sie sah sich voller Scham den Kopf senken, eine Schuldige ohne Schuld. Hure. Keine Männer, keine Liebschaften, keine Blicke, kein Lächeln. Dennoch Hure. Im Traum spürte sie die Panik, die Angst davor, dass ihr Sohn den Schriftzug entdecken würde, wenn er nach Hause kam. Mit tränenfeuchten Händen versuchte sie, ihn wegzuwischen, aber je mehr sie sich bemühte, desto größer wurde die Schrift, desto roter ihre Hände. Rot durch eine altbekannte Schuld: schön zu sein.

    Enrica schlief in dieser ersten Nacht der neuen Jahreszeit; auf dem Nachttisch ihre Brille, ein Buch und ein halbvolles Glas Wasser. Der zusammengefaltete Morgenrock lag auf dem Armstuhl unter dem Stickrahmen.
    Im Dunkel des Traumes eine ungewohnte Berührung, ein fremder Geruch und zwei Augen, die sie ansahen. Grüne Augen. Im Traum spürte die junge Frau, wie die Ankunft des Frühlings ihr Blut durcheinanderwirbelte.

    Nur wenige Meter weiter, doch fern wie der Mond, war der Mann eingeschlafen. Er hatte gegessen, dann ein wenig Radio gehört und ihr vom Fenster aus beim Sticken zugesehen; in ein fremdes Leben tretend, als wäre es sein eigenes; Gegenstände mit fremden Händen berührend, lachend mit fremdem Mund, Geräusche und Stimmen erahnend, die er jenseits der Glasscheibe nicht hörte.
    Dann kam der Schlaf, der eine neue Unruhe mit sich brachte, ein neues Verlangen unter der Haut, fast wie ein Gefühl der Übelkeit; dabei war
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