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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman
Autoren: John Boyne
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ihnen aufsteigen wollte. »Sind hübsche Räumlichkeiten, Sir«, fügte der Mann mit einem freundlichen Lächeln hinzu. »Ich denke, Sie werden sich bei uns wohlfühlen. Wir haben jede Menge Stewards, falls es ein Problem geben sollte.«
    »Danke«, sagte Mr Robinson und schob Edmund vor sich her. Er wollte nicht in ein längeres Gespräch verwickelt werden.
    »Soll Ihnen einer der Jungs den Weg zeigen, Sir?«, fragte der Mann noch, aber Mr Robinson schüttelte den Kopf, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    »Wir kommen schon zurecht«, rief er. »Ich bin sicher, wir finden es.«
    »Ich habe
ausdrücklich
ein Zimmer auf der Steuerbordseite bestellt«, sagte Mrs Drake, schlug mit den Armen wie eine Möwe im Seewind und verdrehte den Hals, um auf die Blätter zu spähen, die der junge Seemann auf einem Klemmbrett vor sich hatte. Als sich Mr Robinson und Edmund an ihr vorbeischoben, sah sie sich so verärgert um, als könnte sie nicht verstehen, dass andere an Bord durften, während sie mit dieser kümmerlichen Person hier reden musste. »Ich finde das einfach ungeheuerlich. Victoria, sag dem Jungen, dass wir ein Steuerbordzimmer bestellt haben.«
    »Eine Kabine, Ma’am.«
    »Was?«
    »Ma’am, Sie haben eine Erste-Klasse-Kabine gebucht. Wir vermerken nicht extra, auf welcher Schiffsseite sie liegen soll. So einen Service bieten wir nicht an.«
    »Ist schon gut«, sagte Victoria und griff nach dem Schlüssel, den der junge Mann in der Hand hielt.
    »Gar nichts ist gut«, sagte Mrs Drake mit fester Stimme. »Wo ist der Kapitän? Es muss doch einen
Erwachsenen
geben, der für diesen Jungen verantwortlich ist? Man wird ihm doch kaum erlauben, sich allein um solche Dinge zu kümmern, mit einem so schmutzigen Gesicht. Und dabei wohnt er auf dem Meer. Hat er denn noch nie etwas von Wasser gehört?«
    »Der Kapitän ist im Moment beschäftigt«, antwortete der Seemann mit zusammengebissenen Zähnen und überhörte die Kommentare. Tatsächlich arbeitete er seit dem frühen Morgen, und die Drakes gehörten zu den letzten Passagieren, die an Bord kamen. Stundenlang auf dem Kai des Antwerpener Hafens zu stehen, bedeutete, dass einem einiges an Staub und Schmutz entgegenschlug. Er wollte verdammt sein, wenn er sich jetzt auch noch dafür entschuldigte, kein Tuch in der Tasche zu haben, um sich für jeden einzelnen der an Bord kommenden Passagiere erneut das Gesicht zu säubern. »Glauben Sie mir, Mrs Drake, sobald wir auf See sind, unterscheidet sich der Ausblick nicht mehr sonderlich, ganz egal, ob Sie nun auf der Backbord- oder der Steuerbordseite sind. Dann gibt es überall nur Wasser – und keinen Tropfen zu trinken«, fügte er mit falscher Heiterkeit noch an, als ließe sich die Situation damit lösen. Wenn diese beiden Frauen doch nur endlich an Bord gehen würden! Er selbst machte die Reise nicht mit, und je früher die
Montrose
ablegte, desto eher kam er zurück nach Hause. Etwa ein halbes Dutzend Leute standen jetzt hinter ihnen an, und Mrs Drake wurde sich ihrer Anwesenheit bewusst; allerdings war Verlegenheit ein Gefühl, das sie nicht kannte. Stirnrunzelnd wandte sie sich den beiden Ersten zu, einem gut gekleideten Ehepaar in den Sechzigern, das starr nach vorn schaute und so tat, als gäbe es diesen kleinen Zwischenfall gar nicht. Mrs Drake schob die Lippen vor und nickte den beiden so diskret zu, als würden sie schon verstehen, wie ärgerlich es war, sich als Angehöriger der Oberklasse mit diesen kleinen Leuten auseinandersetzen zu müssen.
    »Tut mir leid, dass wir Sie aufhalten«, sagte sie unterwürfig und verzog das Gesicht zu einem breiten Lächeln. »Es gibt ein kleines Durcheinander wegen unseres Zimmers. Mrs Antoinette Drake, freut mich sehr, Sie kennenzulernen«, erklärte sie und sprach jedes Wort perfekt aus.
    Bevor ihre neuen Bekannten jedoch etwas erwidern und sich ebenfalls vorstellen konnten, hatte Victoria schon den Schlüssel genommen. »A 7 «, sagte sie, die Gravur lesend. »Ist das eine schöne Kabine?«, fragte sie, hob den Saum ihres Rockes an, damit er nicht über den Boden strich, und ging die Gangway hinauf.
    »Eine der schönsten, Miss«, kam die Antwort. »Ich garantiere Ihnen, sie ist bequem und bietet Ihnen jeden Komfort. Alle Kabinen im Bereich A und B sind für unsere vornehmsten Ladys und Gentlemen reserviert.«
    »Damit ist das noch nicht ausgestanden, das versichere ich Ihnen«, sagte Mrs Drake, gab endlich nach und machte sich bereit, ihrer Tochter an Bord zu folgen.
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