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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman
Autoren: John Boyne
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Vorher klopfte sie dem jungen Mann aber noch zweimal mit dem Stock auf die Schultern, so kräftig, als wollte sie ihn zum Ritter schlagen. »Es tut mir leid, Sie aufgehalten zu haben«, sagte sie zu den Leuten hinter sich, den Ton ein weiteres Mal wechselnd, um eine Art Gemeinsamkeit mit ihnen herzustellen. »Ich nehme doch an, wir sehen uns an Bord wieder.«
    »Sehr erfreut«, sagte der alte Mann trocken, und es war klar, dass er sie möglichst schnell loswerden wollte.
    »
Wirklich,
Mutter«, sagte Victoria.
    »
Wirklich,
Victoria«, sagte Mrs Drake im selben Moment. »Ich glaube einfach, dass man bekommen sollte, wofür man bezahlt. Nicht mehr und nicht weniger. Ist das so falsch? Wenn man für eine Steuerbordkabine bezahlt, sollte man auch eine Steuerbordkabine bekommen. Und jetzt ist es gut.« Sie kletterten an Bord und sahen ein Schild mit der Aufschrift »Erste-Klasse-Kabinen A 1 -A 8 «, das in Richtung eines Niedergangs zeigte.
    »Dort entlang, Mutter«, sagte Victoria. Sie gingen einen schmalen Gang hinunter und musterten die Türen, an denen sie vorbeikamen. Mrs Drake seufzte verdrossen und wusste nicht recht, ob sie nun den Zustand ihrer Knie oder die mangelnde Sauberkeit des Teppichs beklagen sollte.
    Vor einer der Türen stand ein älterer Mann mit seinem heranwachsenden Sohn und schien Schwierigkeiten mit der Tür zu haben.
    »Lass es mich versuchen«, sagte Edmund, nahm Mr Robinson den Schlüssel aus der Hand und schob ihn vorsichtig ins Schloss. Er drehte ihn mehrmals hin und her, rüttelte und wäre fast hineingefallen, so abrupt gab die Tür nach. Die Kabine war angenehm groß, enthielt ein Etagenbett, ein Sofa und einen Ankleidetisch, dazu ein kleines Bad. Ein Bullauge bot einen schönen Blick auf das Meer.
    »Ein Etagenbett«, sagte Mr Robinson und sackte ein wenig in sich zusammen.
    »Macht nichts«, sagte Edmund.
    »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Mrs Drake und beugte sich durch die Tür. Ihr massiger Körper überraschte die beiden. Mr Robinson schob den Kneifer etwas höher, um dieses mächtige lilafarbene Wesen ganz in den Blick zu nehmen. »Ich habe mich gerade gefragt, ob die Kabinen auf der Steuerbordseite so schön sind wie die auf der Backbordseite. Ich habe eine Steuerbordkabine bestellt und eine Backbordkabine bekommen. Was sagen Sie dazu? Haben Sie so etwas je gehört?«
    »Ich war mir nicht bewusst, dass man eine Präferenz angeben konnte«, sagte Mr Robinson. »Oder dass jemand das überhaupt will.«
    »Offenbar kann man es nicht«, sagte Mrs Drake und antwortete damit auf seinen ersten Satz, nicht aber auf den zweiten. »Mrs Antoinette Drake«, fügte sie hinzu. »Freut mich sehr, Sie kennenzulernen.«
    »John Robinson«, sagte er leise. So schnell hatte er mit niemandem Bekanntschaft machen wollen, er bedauerte, die Tür nicht gleich hinter sich geschlossen zu haben. Er verbeugte sich höflich. »Mein Sohn Edmund.«
    »Wie schön, Sie beide kennenzulernen«, sagte sie und musterte Vater und Sohn von Kopf bis Fuß, verengte die Augen dabei etwas und schien bestimmen zu wollen, ob es sich um ihresgleichen handelte oder nicht. Schließlich entschied sie nach dem Buchstaben auf der Kabinentür. »Edmund, was für einen entzückenden Anzug Sie tragen«, sagte sie, beugte sich vor und strich wie beiläufig über den Rockaufschlag, worauf der junge Mann überrascht zurückwich. »Oh, ich beiße Sie schon nicht«, sagte Mrs Drake mit einem Lachen. »Keine Angst. Das ist ein neuer Anzug, ohne Frage.«
    »Wir haben ihn gestern gekauft«, bestätigte Edmund ihr, wurde etwas rot und sah auf seine Schuhe.
    »Nun, er ist entzückend, und ich lobe Ihren Geschmack. Wie alt sind Sie? Siebzehn, achtzehn? Wie schön für Sie. Und so zarte Züge. Sie müssen meine Tochter Victoria kennenlernen. Wir sehen uns nach angemessener Begleitung für die Reise um.«
    »Wir wollten uns gerade auf die Abfahrt vorbereiten«, sagte Mr Robinson nach einer kurzen Pause, trat vor und schob sie auf den Gang hinaus.
    »Jetzt muss ich aber weiter«, sagte sie sofort. »Meine Tochter und ich haben die Kabine A 7 . Backbord, wie ich zu meinem Bedauern sagen muss. Ich bin sicher, wir freunden uns im Laufe der Reise schnell an.«
    »Ohne Zweifel«, sagte Mr Robinson.
    Sie verschwand aus ihrem Blick, und Mr Robinson und Edmund sahen sich nervös an. »Mach nicht so ein Gesicht«, sagte Edmund. »Das Schiff ist voller Passagiere. Wir werden uns darauf einstellen müssen, mit ihnen zu reden. Hier kennt uns
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