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Der freundliche Mr Crippen | Roman

Der freundliche Mr Crippen | Roman

Titel: Der freundliche Mr Crippen | Roman
Autoren: John Boyne
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gelaunt als Billy Carter vorgestellt, der neue Erste Offizier.
    »Der neue was?«, hatte Kendall überrascht gefragt, wobei es ihn schon ärgerte, den Mund öffnen, seine Lunge mit Luft füllen und die Energie aufbringen zu müssen, um mit diesem unverfrorenen Burschen zu reden. Dieser Billy Carter war ein dreist wirkendes Individuum mit üppigen sandbraunen Locken, dunkelblauen Augen, beeindruckenden Grübchen und einer Ansammlung Sommersprossen auf der Nase. All das ließ ihn weniger wie einen Mann, sondern eher wie eine zum Leben erwachte Comicfigur aussehen, und Kendall hasste es, mit anderen als den ältesten, ranghöchsten Offizieren an Bord kommunizieren zu müssen. Es gab eine Befehlskette, die niemals durchbrochen werden sollte, und für Kendall galt das sowohl in Bezug auf die Pflichten als auch für jede Form der Konversation.
    »Der Erste Offizier, Sir«, antwortete Carter mit einem Zwinkern und schüttelte die Locken. »Billy Carter, zu Ihren Diensten. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
    Kendall legte die Stirn in Falten, die Aufdringlichkeit des Burschen setzte ihm zu. »Und wo ist Mr Sorenson?«, fragte er in herrschaftlichem Ton und weigerte sich, dem Mann in die Augen zu sehen.
    »Mr Sorenson?«
    »Der Erste Offizier Sorenson«, erklärte Kendall verärgert. »Wir fahren seit sieben Jahren zusammen, und soweit ich es verstanden habe, sollte er auch diese Reise mit mir unternehmen. Er steht auf der Besatzungsliste, und so frage ich noch einmal: Wo ist er?«
    »O Gott, haben Sie das nicht gehört, Sir?«, fragte Carter und kratzte sich heftig den Kopf, als lauerte in seiner Wolle ein ganzes Läusevolk, das er sich wegzukratzen versuchte. »Er ist gestern Abend ins Krankenhaus eingeliefert worden, schreiend wie ein Baby, dem man die Rassel gestohlen hat. Nach allem, was ich gehört habe, war es ein Blinddarmdurchbruch. Keine schöne Sache. Ich habe in aller Frühe eine Nachricht von der Zentrale bekommen, in der ich aufgefordert wurde, seine Aufgaben auf dieser Reise zu übernehmen. Es hieß, Sie seien ebenfalls informiert worden. Haben Sie keine Nachricht erhalten?«
    »Mir hat niemand etwas gesagt«, antwortete der Kapitän, der eine plötzliche Leere in sich fühlte. Sorenson war sein zuverlässigster Kollege, und die Nachricht von seinem Verlust erfüllte Kendall mit großer Sorge. In sieben Jahren gemeinsamer Seefahrt waren zwischen ihm und Sorenson großes gegenseitiges Vertrauen und beruflicher Respekt gewachsen. Im Übrigen waren sie gute Pokerfreunde geworden und hatten oft bis spät in die Nacht noch bei einer Flasche Whisky gespielt. Sorenson war, wie Kendall oft bewusst wurde, sein einziger wirklicher Freund. »Zum Teufel mit diesen Leuten. Wer sind Sie überhaupt? Welche Erfahrung haben Sie?«
    »Wie ich schon sagte, ich heiße Billy Carter«, begann der Jüngere und wurde gleich wieder von seinem Vorgesetzten unterbrochen.
    »
Billy
Carter?«, fragte der und spuckte die Worte wie ungegartes Fleisch aus. »
Billy?
Was für ein Name ist das für einen Offizier, wenn ich fragen darf?«
    »Er steht für William. So hießen schon mein Vater und dessen Vater.
Dessen
Vater aber nicht. Der hieß James. Vor ihm gab es noch einen …«
    »Ihre Familiengeschichte interessiert mich nicht«, fuhr Kendall ihn an.
    »Sie haben mich als Jungen immer Billy genannt«, sagte Carter.
    »Aber jetzt sind Sie ein Mann, oder?«
    »Wenigstens sagt das meine Frau.« Wieder zwinkerte er.
    »Sie sind verheiratet?«, sagte Kendall. Er missbilligte es, wenn Offiziere sich Frauen nahmen: widerliche, riechende Kreaturen. Kendall war nie einer Frau begegnet, die ihn interessierte, und er vermochte sich die Gräuel kaum auszumalen, die ihm ein Leben als Ehemann auferlegen würde. Er fand es unglaublich, dass sich jemand freiwillig auf solch einen Pfad begab. Tatsächlich missbilligte er die Frauen insgesamt und betrachtete sie für seine Bedürfnisse als vollkommen überflüssig.
    »Seit zwei Jahren jetzt«, antwortete Carter, »und wir erwarten ein Kind. Es sollte so gegen Ende August kommen. Ich bin nicht sicher, ob ich mich freuen oder fürchten soll.« Er schüttelte lachend den Kopf, als bestünde das Leben an Bord aus nichts als ungezwungenem Geplauder. »Haben Sie auch Kinder, Sir?«, fragte er höflich.
    »Mr Carter, ich bin sicher, Sie werden ein ausgezeichneter Erster Offizier für die
Montrose
sein, aber ich sehe nicht ganz, wie …«
    »Übrigens, Käpt’n.« Billy Carter griff in die Tasche und holte den
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