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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Autoren: Charlotte Link
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und sie dachte: Nun ist er das schon wieder!
    Warum war sie jetzt aufgewacht? Hatte es tatsächlich geklingelt? Man baute solche Geräusche gern in seine Träume ein. Aber es hätte dann ja nur ein Wecker sein können, und sie hatten gar keinen. Schließlich arbeiteten sie nicht mehr, und morgens wurden sie beide ohnehin ganz von selbst ziemlich früh wach.
    Es war sehr dunkel, aber durch die Ritzen des Rolladens drang ein wenig Licht von den Straßenlaternen herein. Sie konnte ihren schlafenden Mann neben sich sehen. Wie immer lag er völlig bewegungslos, und sein Atem ging so flach und leise, dass man sehr genau hinhören musste, um zu wissen, ob da überhaupt noch Atem war. Sie hatte schon gelesen, dass ältere Paare abends gemeinsam einschliefen, und dann wachte morgens einer von ihnen auf und der andere war tot. Dann hatte sie gedacht, wenn Fred auf diese Art sterben würde, würde es ganz schön lange dauern, bis ihr das auffiel.
    Ihr Herz klopfte hart und schnell. Ein Blick zur elektronischen Uhr, deren Zahlen hellgrün leuchteten, sagte ihr, dass es fast zwei Uhr in der Nacht war. Keine gute Zeit, um aufzuwachen. Man war so schutzlos. Sie jedenfalls. Sie hatte schon oft das Gefühl gehabt, sollte ihr jemals etwas Schlimmes zustoßen – sollte sie sterben zum Beispiel –, dann würde das nachts zwischen ein und vier Uhr passieren.
    Ein bedrückender Traum, sagte sie sich, nichts weiter. Du kannst ruhig wieder einschlafen.
    Sie legte sich in ihr Kissen zurück, und in diesem Moment klingelte es erneut, und sie begriff, dass es kein Traum gewesen war.
    Jemand klingelte um zwei Uhr nachts an ihrer Haustür.

    Sie setzte sich erneut auf und hörte ihren eigenen hektischen Atem in der beklemmenden Stille, die auf das schrille Klingeln folgte.
    Das ist ganz ungefährlich, dachte sie, ich muss ja nicht aufmachen.
    Es konnte nichts Gutes bedeuten. Nicht einmal Hausierer klingelten um diese Zeit. Wer um diese Zeit Menschen aus dem Schlaf schreckte, der führte entweder Böses im Schilde oder war in eine Notlage geraten. Und war Letzteres nicht viel wahrscheinlicher? Ein Einbrecher oder Raubmörder würde doch nicht klingeln?
    Sie knipste das Licht an und beugte sich über ihren tief schlafenden Mann. Der konnte überhaupt nichts hören, da er die Ohren mit Ohropax zugestöpselt hatte. Fred war so empfindlich mit Geräuschen, ihn störte schon das Wispern des Windes in den Bäumen vor dem Schlafzimmerfenster. Oder das Knarren einer Holzdiele oder das welke Blatt einer Zimmerpflanze, das sich löste und zu Boden glitt. Er erwachte davon, und das war das Schlimmste für ihn. Aufwachen zu müssen, wenn er eigentlich beschlossen hatte zu schlafen. Es stürzte ihn in namenlose Wut. Seine Laune war für Tage verdorben. Irgendwann hatte er deshalb mit dem Ohropax begonnen. Und seine Frau hatte aufgeatmet.
    Sie zögerte daher, ihn zu wecken. Er konnte ihr das so übel nehmen, dass er eine Woche lang kaum noch mit ihr sprechen würde. Jedenfalls dann, wenn er später befand, dass es unnötig gewesen war, ihn aus dem Schlaf zu reißen. Sollte sich herausstellen, dass man ihn doch besser geweckt hätte, und sie tat es nicht, konnte ihr das Gleiche passieren. Sie war jetzt seit dreiundvierzig Jahren mit diesem Mann verheiratet, und ihr Leben mit ihm hatte überwiegend aus Momenten dieser Art bestanden: zerrissen zwischen zwei Möglichkeiten, nervös abwägend, welches der richtige Weg sein mochte,
oberstes Anliegen dabei stets, seine Wut nicht herauszufordern. Es war, weiß Gott, kein einfaches Leben mit ihm.
    Es klingelte ein drittes Mal, länger anhaltend diesmal, fordernder, drängender. Sie entschied, dass Freds Nachtschlaf einem so ungewöhnlichen Vorkommnis geopfert werden durfte. Sie rüttelte an seiner Schulter.
    »Fred«, wisperte sie, obwohl er sie nicht hören konnte, »wach auf! Bitte, wach auf! Es ist jemand an der Haustür!«
    Fred wälzte sich unwillig knurrend zur Seite, dann war er urplötzlich mit einem Schlag hellwach und saß nun auch aufrecht im Bett. Er starrte seine Frau an.
    »Was, zum Teufel ….«, begann er.
    »Es ist jemand an der Tür!«
    Er konnte nur ihre Mundbewegungen sehen und zog sich widerwillig seine Stöpsel aus den Ohren. »Was ist los? Wie kommst du dazu, mich zu wecken?«
    »Es klingelt an der Tür. Jetzt schon dreimal.«
    Er starrte sie immer noch an, als sei sie nicht ganz normal. »Wie? Es klingelt an der Tür? Um diese Zeit?«
    »Ich finde das ja auch sehr beunruhigend.« Sie hoffte,
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