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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Autoren: Charlotte Link
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es werde wieder klingeln, denn sie konnte erkennen, dass Fred ihr nicht glaubte, aber für den Moment blieb alles ruhig.
    »Du hast geträumt. Und wegen eines dämlichen Traumes meinst du mich wecken zu müssen?« Seine Augen blitzten sie böse an. Seine weißen Haare standen in alle Richtungen vom Kopf ab.
    Ein schlecht gelaunter, mürrischer, alter Mann, dachte sie, und inzwischen auch nicht einmal mehr attraktiv. Vielleicht lebe ich noch zwanzig Jahre. Wenn er nicht vor mir stirbt, dann habe ich am Ende dreiundsechzig Jahre mit ihm gelebt. Dreiundsechzig Jahre!
    Der Gedanke stimmte sie mit einem Mal so traurig, dass sie hätte weinen mögen.

    »Greta, wenn du noch einmal …«, begann Fred voller Zorn, aber genau in diesem Moment klingelte es erneut an der Tür, noch etwas länger und anhaltender als zuvor.
    »Siehst du!« Es klang fast triumphierend. »Es ist jemand an der Tür!«
    »Tatsache«, sagte Fred perplex. »Es ist … es ist zwei Uhr in der Nacht!«
    »Ich weiß. Aber ein Einbrecher …«
    »… würde kaum klingeln. Obwohl es theoretisch seine einzige Chance wäre, bei uns ins Haus zu gelangen!«
    Das stimmte. Fred hatte viel Mühe und Zeit darauf verwandt, das Haus in eine Festung zu verwandeln, damals, vier Jahre zuvor, als sie es gekauft hatten und eingezogen waren. Ihren Altersruhesitz, wie er es nannte. Ruhiges Münchener Randgebiet, ein eher wohlhabendes Viertel. Sie hatten zuvor auch in München gelebt, in einer ganz anderen Ecke zwar, aber es hatte sich ebenfalls um eine so genannte bessere Gegend gehandelt. Doch sie waren jünger gewesen. Mit dem Alter hatte sich bei Fred eine ausgeprägte Paranoia entwickelt, was Einbrecher anging, und so waren inzwischen alle Fenster im Erdgeschoss vergittert, die Rollläden im ganzen Haus mit Sicherheitsschlössern versehen, und natürlich gab es eine Alarmanlage auf dem Dach.
    »Vielleicht sollten wir das Läuten einfach ignorieren.«
    »Jemanden ignorieren, der uns mutwillig aus dem Schlaf reißt?« Fred schwang beide Beine über den Bettrand. Er bewegte sich für sein Alter noch ziemlich elastisch. Aber er wurde sehr mager in der letzten Zeit. Der blauschwarz gestreifte Schlafanzug aus Seide schlabberte wie ein leerer Sack um ihn herum. »Ich werde die Polizei anrufen!«
    »Aber das kannst du doch nicht machen! Vielleicht ist es ein Nachbar, der Hilfe braucht! Oder es ist …« Sie sprach nicht weiter.

    Fred wusste, wen sie meinte. »Warum sollte er zu uns kommen, wenn etwas ist? Er hat sich seit Ewigkeiten nicht blicken lassen.«
    »Trotzdem. Er könnte es sein. Wir sollten …« Sie war im Grunde völlig ratlos und überfordert. »Wir müssen irgendetwas tun!«
    »Sag ich ja! Die Polizei rufen!«
    »Und wenn es dann aber wirklich nur … er ist?« Warum, dachte sie, habe ich immer diese Angst, in Freds Gegenwart auch nur seinen Namen zu nennen?
    Fred war das Hin und Her nun leid.
    »Ich werde jetzt einmal nachsehen«, sagte er entschlossen und verließ das Zimmer.
    Sie hörte seine Schritte auf der Treppe. Dann vernahm sie seine Stimme unten im Hausflur. »Hallo? Wer ist denn da?«
    Später – als sie schon gar nicht mehr die Möglichkeit hatte, sich mit Fred darüber auszutauschen, und als sie bereits begriff, dass es keine zwanzig Jahre mehr sein würden, die sie zu leben hatte, sondern nur noch Stunden oder bestenfalls Tage – fragte sie sich, welche Antwort ihr Mann von der anderen Seite der Tür bekommen hatte, dass er sie so schnell und bereitwillig geöffnet hatte. Sie hörte, dass die verschiedenen Sicherheitsriegel gelöst wurden. Dann vernahm sie einen dumpfen Schlag, den sie sich nicht erklären konnte, der jedoch ihren ganzen Körper in Alarmbereitschaft versetzte. Die feinen Härchen an ihren Unterarmen standen aufrecht. Ihr Herz wollte nicht aufhören zu rasen.
    »Fred?«, rief sie angstvoll.
    Irgendetwas unten im Haus fiel polternd zu Boden. Dann hörte sie Freds Stimme. »Ruf die Polizei! Ruf sofort die Polizei! Schnell! Beeil dich!«
    Es war der falsche Rat. Es gab im ersten Stock des Hauses kein Telefon. Sie hätte es schaffen können, ihre Zimmertür
zu erreichen, sie zuzuschlagen und zu verriegeln, und dann hätte sie das Fenster öffnen, sich in die Nacht hinauslehnen und um Hilfe schreien können. Hätte er sie nur angewiesen, dies zu tun … Oder wenn sie von selber darauf gekommen wäre … So aber sprang sie kopflos aus dem Bett, schlüpfte, am ganzen Körper wie Espenlaub zitternd, in ihren Morgenmantel und eilte ins
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