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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut
Autoren: Christoph Hein
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ein fremder Mann herauskam.
    Der neue Mieter hat einen chronischen Katarrh. Wenn er den Flur entlangkommt, hört man seinen trockenen, kurzen Husten. Er ist mit einer älteren Dame aus unserem Stockwerk befreundet. Die beiden gehen häufig zusammenaus dem Haus. Wahrscheinlich gehen sie zum Friedhof. Sie haben immer einen Plastbeutel bei sich und eine kleine Gießkanne.

13
    Jetzt, ein halbes Jahr nach Henrys Beerdigung, habe ich mich eingerichtet, wieder allein zu leben. Es geht mir gut oder doch zufriedenstellend. Ich vermisse nichts. In vier oder fünf Jahren werde ich Oberarzt. Der Chef will sich dafür einsetzen, er deutete es mir an. Irgendwann werde ich ihn besuchen müssen, und es wird mir wahrscheinlich gar nicht so unangenehm sein. Er ist mir auf eine seltsame, fast zweifelhafte Art sympathisch. Ich weiß, daß ihn viele in der Klinik nicht ausstehen können. Er gilt als dogmatisch, arrogant und zynisch. Gelegentlich verhält er sich auch zu mir so. Ich glaube, es gefällt ihm, das Ekel zu sein. Es wird ihm viele Entscheidungen vereinfachen. Ich hoffe, wir werden einige Förmlichkeiten im Umgang miteinander beibehalten. Ich hoffe, daß er nicht so rührselig wird, mir von seinen Problemen zu erzählen. Ich will davon nichts wissen.
    Ansonsten bin ich mit meiner Arbeit zufrieden. Es ist nicht das, was ich mir vorstellte. Sie strengt mich um so mehr an, als sie gleichförmig und ohne besondere Belastungen, Aufregungen oder Spaß verläuft. Die kommenden zwei Jahrzehnte werde ich es aushalten.
    Wünsche habe ich nicht mehr viele, und ich weiß, ich werde sie mir nicht erfüllen können. Dafür habe ich ein paar handfeste Ängste, die mich völlig ausfüllen.
    Ich hoffe, daß ich das Klimakterium gut überstehe. Unangenehm wird mir die Hitze sein. Sie ist mir widerlich. Ich kenne diese aufsteigende Hitze von den Tagen, wo ich körperlich erschöpft und abgespannt bin. Ich scheue dann den Umgang mit Menschen und möchte mich am liebsten in meiner Wohnung verkriechen.
    Ein paar Landschaften möchte ich noch kennenlernen, aber ich bin nicht sicher, daß es mir gelingen wird. Ichwürde gern nach Rom fahren und in die Provence. Außerdem möchte ich Kanada kennenlernen und ein mittelafrikanisches Land. Ich habe Vorstellungen von diesen Landschaften in meinem Kopf. Sie sind sicher falsch, und ich würde überrascht sein, falls ich dorthin fahren sollte. Trotzdem hoffe ich, irgendwann diese Gegenden zu sehen. Aber ich bin jetzt vierzig und war noch nicht dort, und ich weiß nicht, ob es mir in den nächsten zehn Jahren gelingen wird. Wenn ich alt bin, möchte ich nicht mehr reisen. Es wird alles zu anstrengend.
    Ab und zu spiele ich mit dem Gedanken, ein Kind zu haben. Früher wollte ich selbst ein Kind zur Welt bringen, schreckte aber schließlich immer davor zurück. Jetzt überfällt mich gelegentlich der Wunsch, ein elternloses Mädchen anzunehmen. Ich stelle mir vor, wie sich mein Leben verändern würde, und bin überzeugt, ich würde sehr glücklich sein. Wenn ich weniger sentimental gestimmt bin, weiß ich, daß es mir dabei nur um mich selbst geht. Ich brauche das Kind zu meinem Glück. Ich benötige es für meine Hoffnungen, für meinen fehlenden Lebensinhalt. Mein Wunsch erscheint mir dann weniger freundlich. Ich fürchte, es ist so etwas Ähnliches wie Unzucht mit Abhängigen. Ich bin kräftig genug, es allein durchzustehen. Ich stecke in keiner Krise. Meine Nerven sind vollkommen in Ordnung. (In der Klinik gelte ich als robuste Person. Mir weniger freundlich gesonnene Kollegen bezeichnen mich als rabiat. Würde ich Selbstmord begehen, stünden sie vor einem Rätsel. Es wäre eine gelungene Überraschung.) Ich muß kein Kind mißbrauchen, um mir mangelnde Liebe zu ersetzen. Und ich hoffe, daß ich mir nicht eines Tages einen Hund anschaffe. Als Ersatz des Ersatzes.
    Dennoch, ich weiß, der gelegentliche Wunsch nach einem Kind wird immer wieder auftauchen. Dahinter steckt gewiß die Sehnsucht, sich einem andern Menschen restlos hinzugeben. Meine verlorengegangene Fähigkeit, einen anderenbedingungslos zu lieben. Es ist die Sehnsucht nach Katharina, nach der Kinderliebe, nach einer Freundschaft, zu der nur Kinder fähig sind. Ich vermisse Katharina jetzt sehr. Es ist fünfundzwanzig Jahre her, daß ich sie zum letzten Mal gesehen habe, und ich wollte, wir wären zusammengeblieben. Wir trennten uns mit der grausamen Art von Kindern und fanden es beide gewiß weniger fürchterlich, als es war. Ich wußte damals
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