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Der Frauenheld

Der Frauenheld

Titel: Der Frauenheld
Autoren: Richard Ford
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Ecke der verschatteten Straße befand sich eine Polizeiwache. Ein Polizeitransporter war mit Blaulicht vorgefahren, und mehrere uniformierte Beamte mit leuchtenden weißen Schulterkoppeln führten eine Reihe von Männern in Handschellen, die die Köpfe gesenkt hielten wie reuige Sünder, in das Gebäude. Es war April, und der Straßenbelag schimmerte in der feuchten Frühlingsluft.
    Dies war natürlich der Moment, um sie zu bitten, mit ihm hineinzukommen, wenn es je zu so etwas kommen sollte. Aber es war auch klar, daß das so weit wie überhaupt nur denkbar von jeder Möglichkeit entfernt war, und jeder von ihnen wußte das. Und abgesehen davon, daß er sich das innerlich eingestand, dachte Austin auch nicht wirklich daran, es zu versuchen. Obwohl er irgend etwas Gutes tun wollte, irgend etwas Ungewöhnliches, das ihr gefallen würde und sie beide wissen ließe, daß sich heute abend etwas ereignet hatte, das vom Durchschnittlichen leicht abwich, ein Ereignis, an das sich beide gerne erinnern würden, wenn sie alleine im Bett lagen, wenn auch in Wirklichkeit nicht viel passiert war.
    Seine Gedanken arbeiteten daran, was dieses außergewöhnliche Etwas wohl sein könnte, das, was man tat, wenn man nicht mit einer Frau schlief. Eine Geste. Ein Wort. Was? Alle Gefangenen waren schließlich in die Polizeiwache geführt worden, und die Beamten waren wieder in ihren Transporter gestiegen und die rue de Mezières hinaufgefahren, wo Austin und Josephine Belliard in der dunklen Stille saßen. Sie wartete offensichtlich darauf, daß er ausstieg, und er befand sich im Zwiespalt darüber, was er tun sollte. Obwohl es ein Moment war, den er genoß. Es war jener einmalige Augenblick, bevor das Handeln einsetzt, wenn alles Möglichkeit ist, bevor das Leben diese Richtung einschlägt oder jene – hin zu Reue oder Vergnügen oder Glück, hin zu einer Art von Dauer oder zu einer anderen. Es war ein wunderbarer, verführerischer, wichtiger Augenblick, einer, der es wert war, daß man ihn bewahrte, und er wußte, sie wußte es ebenso wie er und wollte, daß er so lange anhielt, wie er es wollte.
    Austin saß da mit den Händen im Schoß, fühlte sich groß und ungeschlacht in dem winzigen Auto, lauschte seinem eigenen Atem und war sich bewußt, daß er sich an der Schwelle zu der, wie er hoffte, richtigen – richtigsten – auszuführenden Geste befand. Sie hatte sich nicht bewegt. Der Motor lief, die Scheinwerfer beleuchteten trüb die leere Straße, die Armaturen ließen den Raum im Wageninnern grünlich schimmern.
    Abrupt überbrückte er den Abstand zwischen ihnen – so kam es Austin jedenfalls vor –, nahm Josephines kleine, weiche, warme Hand vom Lenkrad und hielt sie zwischen seinen beiden großen, ebenfalls warmen Händen wie ein Sandwich, aber auch so, daß es beschützend wirken konnte. Er würde sie beschützen, sie vor irgendeinem noch ungenannten Leid bewahren oder vor ihren eigenen verborgenen Bedürfnissen, zunächst einmal jedoch vor seiner eigenen Person, denn er verstand, daß es mehr ihre als seine Zurückhaltung war, die sie beide jetzt auf Abstand hielt, sie davon abhielt, den Wagen zu parken und ins Hotel zu gehen und die Nacht in den Armen des anderen zu verbringen.
    Er drückte ihre Hand fest und ließ dann locker.
    »Ich würde dich gerne irgendwie glücklich machen«, sagte er mit aufrichtiger Stimme und wartete dann, während Josephine nichts sagte. Sie zog ihre Hand nicht weg, aber sie antwortete auch nicht. Es war, als würde das, was er gesagt hatte, nichts bedeuten oder als hörte sie ihm möglicherweise gar nicht zu. »Das ist doch nur menschlich«, sagte Austin, als ob sie doch etwas entgegnet hätte, als ob sie »Warum?« oder »Versuch’s nicht« oder »Das könntest du gar nicht« oder »Dazu ist es zu spät« gesagt hätte.
    »Was?« Sie sah ihn zum ersten Mal an, seit sie angehalten hatten. »Was ist es?« Sie hatte ihn nicht verstanden.
    »Es ist doch nur menschlich, jemanden glücklich machen zu wollen«, sagte Austin und hielt ihre warme, beinahe schwerelose Hand. »Ich mag dich sehr gern, das weißt du.« Das waren, so gewöhnlich sie sich auch anhörten, die perfekten Worte.
    »Ja. Nun. Wofür?« sagte Josephine mit kalter Stimme. »Du bist verheiratet. Du hast eine Frau. Du lebst weit weg. In zwei Tagen, drei Tagen, ich weiß nicht, wirst du wegfahren. Also. Wofür magst du mich?« Ihr Gesicht wirkte undurchdringlich, als ob sie mit einem Taxifahrer sprach, der gerade etwas unangebracht
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