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Der Frauenheld

Der Frauenheld

Titel: Der Frauenheld
Autoren: Richard Ford
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Vertrauliches zu ihr gesagt hatte. Sie ließ ihre Hand in seiner Hand, sah aber weg, geradeaus.
    Austin wollte noch etwas sagen. Er wollte etwas – etwas ebenso absolut Richtiges – in diese neue Leere hinein sagen, die sie zwischen ihnen hatte entstehen lassen, Worte, die man sich nicht zurechtgelegt und nicht einmal im voraus gekannt haben konnte, sondern etwas, was sich auf das einließ, was sie gesagt hatte, einräumte, daß er damit einverstanden war, und dennoch einen anderen Moment sich ereignen ließ, währenddessen sie beide neuen und unerforschten Boden betraten.
    Doch das einzige, was Austin sagen konnte – und er hatte keine Ahnung, warum dies die einzigen Worte waren, die ihm einfielen, da sie töricht und ruinös schienen –, war: »Manche Leute haben einen hohen Preis dafür bezahlt, daß sie sich mit mir einließen«, was zweifellos die falschen Worte waren, da sie seines Wissens nicht unbedingt stimmten, und selbst wenn, dann waren sie so prahlerisch und melodramatisch, daß sie Josephine oder auch jeden anderen veranlassen mußten, in lautes Gelächter auszubrechen.
    Dennoch, er konnte das sagen und alles zwischen ihnen auf der Stelle vorüber sein lassen und das Ganze vergessen, was vielleicht eine Erleichterung wäre. Bloß war Erleichterung gar nicht das, was er wollte. Er wollte, daß sich etwas zwischen ihnen entwickelte, etwas Entschiedenes und Realistisches, etwas, was den Tatsachen ihrer beider Leben gerecht wurde; in jenen Bereich vorstoßen, wo in diesem Augenblick eigentlich nichts möglich schien.
    Langsam ließ Austin Josephines Hand los. Dann nahm er ihr Gesicht zwischen die Hände, drehte es zu sich hin, beugte sich über den Raum zwischen ihnen und sagte in dem Augenblick, bevor er sie küßte: »Ich werde dich wenigstens küssen. Ich habe das Gefühl, daß mir das zusteht, und ich werde es tun.«
    Josephine Belliard leistete ihm überhaupt keinen Widerstand, aber sie überließ sich ihm auch in keiner Weise. Ihr Gesicht war weich und nachgiebig. Sie hatte einen nicht besonders ausdrucksstarken, überhaupt nicht vollen Mund, und als Austin seine Lippen auf ihre Lippen preßte, kam sie ihm nicht entgegen. Sie ließ sich küssen, und Austin wurde das sofort und grausam bewußt. Tatsächlich fand folgendes zwischen ihnen statt: Er nötigte sich dieser Frau auf, und ein Gefühl überwältigte ihn, als er seine Lippen noch fester auf ihre drückte, daß er sich etwas vormachte und ein jämmerlicher Idiot war – die Art von Mann, über den er sich lustig machen würde, wenn er sich selbst beschrieben hörte, und nur diese Fakten dabei angeführt wurden. Es war ein schreckliches Gefühl, ein Gefühl, als wäre man alt, und er spürte, wie er im Innern hohl wurde und seine Arme so schwer wurden wie Knüppel. Er wollte von diesem Autositz verschwinden und sich nie wieder an irgendeines der idiotischen Dinge erinnern, die er noch einen Augenblick zuvor gedacht hatte. Dies war nun der erste bleibende Schritt gewesen, mit dem die bloße Möglichkeit aufhörte, und es war der falsche gewesen, der schlimmst mögliche. Es war grotesk. Bevor er jedoch seine Lippen lösen konnte, merkte er, daß Josephine Belliard etwas sagte, mit ihren Lippen an seinen Lippen sprach, fast lautlos, und daß sie, indem sie ihm keinen Widerstand leistete, ihn in der Tat küßte, daß sich ihr Gesicht beinahe unbewußt seinen Absichten unterwarf. Was sie die ganze Zeit sagte, während Austin ihren dünnen Mund küßte, war – flüsternd, beinahe im Traum – » Non, non, non, non, non. Bitte. Ich kann nicht. Ich kann nicht. Nein, nein.«
    Sie hörte aber nicht auf. »Nein« war nicht exakt das, was sie meinte. Sie öffnete ihre Lippen leicht in einer Geste des Erkennens. Und nach einem Moment, einem langen, schwebenden Moment, zog Austin sich langsam von ihren Lippen zurück, sank in seinen Sitz und holte tief Luft, legte die Hände wieder in den Schoß und ließ den Kuß den Raum zwischen ihnen ausfüllen, den er irgendwie mit Worten auszufüllen gehofft hatte. Etwas Unerwarteteres und Verlockenderes hätte aus seinem Wunsch, das Richtige zu tun, gar nicht entstehen können.
    Sie holte nicht hörbar Luft. Sie saß einfach nur so da, wie sie dagesessen hatte, bevor er sie geküßt hatte, und sagte nichts. Sie schien auch nicht irgend etwas im Sinn zu haben, was sie sagen wollte. Die Situation war fast so wie die, bevor er sie geküßt hatte, nur daß er sie geküßt hatte – sie hatten sich geküßt –, und das
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