Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
benehme mich ziemlich albern, oder?«
    »Ein bisschen«, erwiderte Detective Barren.
    »Oje«, wiederholte die Frau. Die Polizistin sah, wie die ältere Dame sich eine graue Strähne aus der Stirn strich und Haltung annahm. »Ich fange noch einmal an«, erklärte sie. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich hätte gerne Blumen«, sagte Detective Barren.
    »Für jemand Besonderen?«
    »Natürlich.«
    »Gut, dann würde ich Ihnen Rosen empfehlen. Vielleicht nicht die originellste, aber die sicherste Wahl. Sie machen immer Freude, und dafür kaufen wir schließlich Blumen.«
    »Ich denke, das wäre nett«, stimmte Detective Barren zu.
    »Ein Dutzend?«
    »Ausgezeichnet.«
    »Ich hätte sie in Rot, Weiß und Rosa da?« Das war eine Frage.
    Die Polizistin überlegte einen Moment. »Rot und Weiß, denke ich.«
    »Ausgezeichnet. Ein bisschen Schleierkraut dazu – das bringt sie besonders hübsch zur Geltung.«
    »Sie sehen sehr hübsch aus.«
    »Danke.«
    Detective Barren bezahlte, und die Frau reichte ihr die Schachtel. »Ich werde allmählich meschugge.«
    »Wie bitte?«
    »Wissen Sie, ich rede fast den ganzen Tag nur noch mit den Blumen. Manchmal vergesse ich, wie man mit Menschen spricht. Ich bin sicher, Ihr, äh, Freund wird sich über den Strauß freuen.«
    »Mein Geliebter«, verbesserte die Polizistin.
    Sie klemmte sich die Schachtel unter den Arm und überlegte, wie viele Jahre vergangen waren, seit sie das letzte Mal am Grab von John Barren gestanden hatte.
     
    Anfang September lag noch kein bisschen Herbst in der Luft; vielmehr hielt sich hartnäckig die sommerliche Schwüle und ein trügerisch blauer Himmel mit ein paar großen weißen Wolken; ein Tag zum Faulenzen und Schwelgen in Erinnerungen an einen strahlenden August, statt an die klirrende Januarkälte zu denken, die in Delaware Valley mit unumstößlicher Gesetzmäßigkeit Schnee und beißend kalten Wind vom Fluss sowie Eis- und Graupelstürme brachte – eine unglückselige Mischung aus Böen, Schneeregen und Glatteis. Eins dieser ganz gewöhnlichen Unwetter, dachte Detective Barren mit einem leisen Lächeln. Es hatte sie unterwegs erwischt, mit einer leeren Autobatterie und durchnässten Stiefeln. Als sie schließlich – allein – in ihre leere, kalte, verwaiste Wohnung zurückgekehrt war, hatte sie sich geschworen, in einer warmen Gegend ganz von vorne anzufangen. Miami.
    Sie legte die Blumen auf den Beifahrersitz des Leihwagens und nahm von Lambertville aus den Weg über die Brücke nach New Hope auf der anderen Seite des Flusses. Die für dasAusgefallene, Kostbare und Exklusive bekannte Kleinstadt dehnte sich entlang beider Ufer aus. Sie brauchte nicht lange, bis sie die Ortschaft hinter sich gelassen hatte und eine schattige Straße Richtung Friedhof fuhr. Sie fragte sich, wieso die Familie näher nach Philadelphia gezogen war, wo es auf dem Lande doch so schön war. Sie sah ihren Vater vor sich, wie er die Nachricht bekommen hatte, dass er an die University of Pennsylvania berufen worden war, und vor Freude wie ein Cowboy ihre Mutter zu einem Squaredance durchs Wohnzimmer wirbelte. Er hatte theoretische Mathematik und Quantenmechanik gelehrt; seine Intelligenz war beängstigend, seine praktische Lebenstüchtigkeit gleich null gewesen. Sie lächelte. Er hätte keine Sekunde lang begriffen, wie sie zur Polizei gehen konnte. Für die Methoden der deduktiven Beweisführung, für einige der investigativen Vorgehensweisen und die offensichtliche Präzision der Ermittlertätigkeit hätte er einen gewissen Respekt aufgebracht, doch die Realität, der ständige Kampf gegen das Böse, hätte ihn entsetzt. Nie hätte er begriffen, weshalb seine Tochter diese Arbeit so liebte, auch wenn er den schlichten Grund für ihre berufliche Hingabe bewundert hätte: Für sie war es die einfachste Möglichkeit, in einer Welt etwas Gutes zu bewirken, in der Mistkerle – an dieser Stelle stockte sie wie schon so oft in den letzten Tagen – liebenswürdige achtzehnjährige Mädchen voller Lebensdrang und vielversprechenden Neigungen und Talenten töten konnten. Detective Barren fuhr weiter, und die liebevolle Erinnerung an ihren Vater versank im Schatten, während in ihrem Kopf ein Skizzenblock Gestalt annahm, auf dem sie die Gesichtszüge des Killers zu zeichnen begann. Um ein Haar hätte sie das Friedhofstor übersehen.
    Jemand hatte eine amerikanische Flagge auf John Barrens Grab platziert, und für einen Moment war sie nicht sicher, obihr das recht war. Doch dann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher