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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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gefunden?«
    »Das war nicht schwer. Ihr kommt alle hierher. Man könnte meinen, daß alle Straßen von Montreux zum See führen.«
    »Was soll das heißen: >Ihr    »Besucher. Touristen.« Mit dem Kinn wies er auf die ersten morgendlichen Spaziergänger auf der Uferpromenade. »Das ist eine hochromantische Ecke, wissen Sie. Ein Hauch von Ewigkeit weht hier, wie man zu sagen pflegt. Man fühlt sich in Jean-Jacques Rousseaus >Nouvelle Heloise< versetzt. Aber ich werd’ Ihnen was gestehen: diese ganzen Klischees kotzen mich an. Und ich glaube, die meisten Schweizer denken ganz genauso.«
    Ich deutete ein Lächeln an. »Sie sind ja auf einmal recht zynisch. Trinken Sie etwas?«
    »Einen Kaffee. Stark.«
    Ich rief den Kellner herbei und bestellte einen Espresso. Dumaz hatte neben mir Platz genommen. Er setzte seine Sonnenbrille auf und wartete schweigend. Mit tiefernstem Interesse studierte er die Landschaft. Als der Kaffee gebracht wurde, leerte er ihn in einem Zug, dann seufzte er tief.
    »Ich hatte keine Minute Ruhe, seit wir uns verabschiedet haben«, begann er. »Zuerst die Unterredung mit Dr. Warel, Sie wissen schon, dieser kleinen verrauchten Person mit ihrem blutigen Kittel. Sie ist neu hier. Ich glaub’ nicht, daß sie mit so was gerechnet hat.« Dumaz stieß ein verhaltenes Lachen aus. »Erst zwei Wochen in Montreux, und schon bringt man ihr einen toten Ornithologen, gefunden in einem Storchennest, halb aufgefressen von seinen eigenen Vögeln! Na gut. Nach dem Spital bin ich nach Hause gefahren, um mich umzuziehen, und gleich danach ins Kommissariat, um Ihren Bericht niederzuschreiben.« Er klopfte sich auf die Jackentasche. »Ich habe Ihre Aussage dabei, Sie können sie gleich unterschreiben und müssen nicht erst aufs Kommissariat. Danach war ich auf einen Sprung bei Max Böhm. Was ich dort gefunden habe, veranlaßte mich, ein paar Telefonate zu führen. Binnen einer halben Stunde hatte ich sämtliche Antworten auf meine Fragen. Und da bin ich!«
    »Und was ist Ihre Schlußfolgerung?«
    »Nichts. Es gibt keine Schlußfolgerung.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    Dumaz faltete wieder seine Hände und stützte die Ellenbogen auf den Tisch, dann wandte er sich mir zu: »Ich sagte es Ihnen bereits: Max Böhm war eine Berühmtheit. Wir brauchen also einen sauberen, normalen Tod. Irgend etwas Klares und Eindeutiges.«
    »Ist das nicht der Fall?«
    »Ja und nein. Mit dem Tod an sich ist alles in Ordnung - abgesehen natürlich von dem ungewöhnlichen Ort. Ein Herzinfarkt. Unbestreitbar. Aber alles andere rundherum stimmt ganz und gar nicht. Ich möchte ungern das Andenken eines großen Mannes in den Schmutz ziehen, verstehen Sie?«
    »Wären Sie geneigt, mir zu verraten, was nicht stimmt?«
    Dumaz fixierte mich hinter seinen getönten Gläsern. »Es wäre viel eher an Ihnen, mich aufzuklären«, antwortete er.
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Was ist der wahre Grund Ihres Besuchs bei Max Böhm?«
    »Ich habe Ihnen heute nacht alles gesagt.«
    »Sie haben gelogen. Ich habe ein paar Details nachgeprüft und kann Ihnen beweisen, daß Sie nicht die Wahrheit gesagt haben.«
    Ich gab keine Antwort. Dumaz fuhr fort: »Als ich in Böhms Chalet herumgeschnüffelt habe, fiel mir auf, daß vor mir schon jemand da war. Über den Daumen gepeilt, würde ich sogar sagen: ein paar Minuten vor mir. Ich habe sofort im
    Freilichtmuseum angerufen, wo Böhm ein zweites Büro hat. Ich dachte mir, ein Mann wie er macht sich von bestimmten Unterlagen höchstwahrscheinlich Kopien. Seine Sekretärin, offenbar eine begeisterte Frühaufsteherin, hat sich bereit erklärt, sich umzuschauen, und fand schließlich in einer seiner Schubladen ein ganz unglaubliches Dossier über verschwundene Störche. Die wichtigsten Unterlagen hat sie mir gleich gefaxt. Soll ich weitererzählen?«
    Diesmal war ich es, der stumm auf den See hinausstarrte. Vor dem glühenden Horizont zeichneten sich winzige Segelboote ab.
    »Außerdem die Bank. Ich habe mit Böhms Zweigstelle telefoniert: er hat vor kurzem eine beträchtliche Summe überwiesen. Ich weiß den Namen, die Adresse und die Kontonummer des Empfängers.«
    Das Schweigen zwischen uns verhärtete sich. Ein kristallines Schweigen, klar wie die Morgenluft, das an diesem Punkt in viele verschiedene Richtungen aufbrechen konnte. Ich ergriff die Initiative: »Diesmal gibt es eine Schlußfolgerung.«
    Dumaz lächelte, dann nahm er die Brille ab.
    »Ich kann’s mir schon denken. Wahrscheinlich sind Sie in Panik
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