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Der Fluch

Der Fluch

Titel: Der Fluch
Autoren: Krystyna Kuhn
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durch die Menge zu ihnen drängen, wobei eine gewisse Rücksichtslosigkeit erforderlich ist, als sich mir jemand entgegenstellt.
    George.
    George Tudor.
    Ihm bin ich bisher aus dem Weg gegangen. Es ist mir peinlich, dass ich ihn verdächtigt habe. Umso mehr, als ich die CD angehört habe und die Musik, die er für mich geschrieben hat.
    Aber es ist ein Gespräch, dem ich nicht ausweichen kann, und deshalb bleibe ich stehen.
    »Hi, George.«
    Er kneift die Augenbrauen zusammen und zieht die Manschetten des weißen Hemdes zurecht.
    »Ich muss mich bei dir bedanken«, sage ich.
    »Wofür?«
    »Du wolltest mich beschützen.«
    »Schon immer«, erwidert er ernst. »Nur erinnerst du dich nicht.«
    Diesmal frage ich nach.
    »Wir kennen uns von … Jaydens Party, oder?«
    Noch immer fällt es mir schwer, diesen Namen auszusprechen. Aber es ist eine von diesen Trainingseinheiten, mit denen ich die Wahrheit nicht länger leugne.
    Er schüttelt den Kopf.
    »Aber wir kennen uns doch von früher?«, frage ich unsicher und überlege angestrengt. Zum ersten Mal denke ich über seinen Namen nach. George? George Tudor?
    Er streckt den Arm nach vorne und zieht die weiße Manschette des Ärmels zurück. Eine längliche Narbe, die mir bekannt vorkommt.
    »Auf immer und ewig«, sagt er. Und der Ausdruck in seinem Gesicht ist so traurig, dass ich kurz aufhöre zu atmen.
    Eine Erinnerung taucht in meinem Kopf auf.
    Ein einziger Sommer vor zehn Jahren.
    Als die Wilfords noch nicht das Ferienhaus neben unserem gekauft hatten, sondern ich jeden einzelnen Ferientag verbrachte mit … George.
    »Kalifornien«, sage ich. »Wie konnte ich das vergessen.«
    »Nur gut«, erwidert George, »dass ich mich noch genau daran erinnere.«

Epilog
    10. Februar 1914
Es ist vier Uhr nachts, als ich mich auf den Weg mache. Ich gehe los, ohne die Kälte, den Regen und den Wind zu spüren. Aber ich weiß, dass ich den Weg diesmal ohne Shanusks Hilfe finden werde. Doch es sind nicht seine Götter, die mir den Weg zeigen. Es ist der Geist des Tals, der mich führen wird.
    Mein letzter Blick gilt meinem Sohn. Timothy liegt neben mir und schläft tief und fest. Nicht mehr als ein Bündel Mensch, zu jung, um zu begreifen, was seinen Vater antreibt. Ich habe beschlossen, ihn in der Obhut der Cree zurückzulassen. Sein Körper und seine Seele sind zu schwach, um dort oben zu überleben. Damit er sich an seinen Vater erinnert, lasse ich das Notizbuch hier. Ich lege es neben ihn und seine Hände klammern sich im Schlaf daran fest. Eines Tages werde ich zurückkommen und ihn holen. Und er wird begreifen, dass diese Welt größer ist, als er es sich je vorgestellt hat.
    Tim Yellad schlägt das Buch zu, das er in seinen Händen hält und dem die Spuren der vergangenen Jahrzehnte kaum anzusehen sind.
    Wir sehen uns schweigend an. Einzig Ike gibt ein Geräusch von sich. Es scheint fast, als ob er seufzt, während er sich eng an Robert schmiegt und die Augen schließt.
    Schließlich fährt Tim fort: »Aber Dave Yellad, wie er sich nach seiner Rückkehr aus Schottland nannte, ist nie in seine Heimat zurückgekommen. Er ist einfach verschwunden. Mein Großvater Timothy Yellad, nach dem ich benannt wurde, hat seinen Vater nie wiedergesehen. Er wuchs bei den Cree auf, ging später nach Seattle und heiratete. Er starb zwei Jahre nach der Geburt seines Sohnes, meines Vaters. Meine Großmutter, die noch lebt, hat erzählt, er hätte ein schwaches Herz gehabt. Heute hätte man ihn vermutlich durch eine einfache Operation retten können.« Tim schweigt einen Moment. »Mein Vater war es schließlich, der die Suche nach unserer Herkunft begonnen hat. Er war in Schottland, aber der Landsitz war bereits Jahre zuvor einem Brand zum Opfer gefallen. Und nun ist es mein Erbe herauszufinden, was wirklich geschehen ist. Ich will wissen, was mein Urgroßvater hier oben gesucht und gefunden hat.«
    Das Schweigen wird nur unterbrochen vom Flackern des Lagerfeuers, um das wir uns versammelt haben. Es war Roberts Idee, dass wir uns hier treffen sollten. Und keiner von uns hat es gewagt, sich seinem Wunsch zu widersetzen. Meine Ängste, unsere Gruppe könnte auseinanderdriften, haben sich nicht bewahrheitet. Auch Julia und Chris sind aus Seattle zurückgekehrt. Sie haben sich uns angeschlossen und so sind wir bis auf Benjamin und Debbie alle versammelt. Und dann überraschte uns Tim mit dem Tagebuch seines Urgroßvaters.
    »Ihr glaubt doch wohl nicht den Geschichten dieses Verrückten?«, sagt Chris
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