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Der Fluch

Der Fluch

Titel: Der Fluch
Autoren: Krystyna Kuhn
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Lügen! Aber ich vertraue meinem Sohn. Wenn Jayden behauptet, ihr wärt einverstanden gewesen, Muriel und du, dann glaube ich ihm.«
    Ihre Finger werden schwächer. Der Druck lässt nach. Ich habe mich schon gefragt, wie lange sie das durchhalten kann. Aber ich rühre mich nicht. Ich muss sie in Sicherheit wiegen, muss sie dazu bringen weiterzureden. Darf sie nicht provozieren.
    »Sind Sie wirklich Psychologin?«
    »Man kann alles sein, wenn man die richtigen Verbindungen hat. Und das nötige Geld. Die Stelle war die Einzige an diesem College, die ausgeschrieben war.« Sie lacht.
    Ihre Aufmerksamkeit lässt nach. Langsam bewege ich den Kopf und versuche, mich aus ihrer Umklammerung zu befreien. Sie reagiert nicht.
    »Es war kein Problem, sich alle notwendigen Papiere zu besorgen. Abschluss in Princeton. Zehn Jahre Erfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen. Die Welt will getäuscht werden und ich habe ihr gegeben, was sie will. Und ich nehme mir, was ich will.« Sie spricht jetzt eher zu sich selbst.
    »Ich habe gesehen, wie die Jungs auf dich reagieren. Du forderst es heraus.«
    Die Anschuldigung trifft mich mit voller Härte. »Nein … nein, das stimmt nicht.«
    »Was ist mit Sam Ivy? O’Connor? George Tudor? Ich habe dich beobachtet. Ich sehe, wie du dich benimmst.«
    »Was wollen Sie von mir?«
    »Nichts mehr.«
    Der Druck um meinen Nacken wird wieder stärker. Ich muss sie in Sicherheit wiegen.
    »Ich kann auf die Anklage verzichten.«
    »Darum geht es nicht.«
    »Worum dann?«
    »Alle Mädchen in deinem Alter sind Nutten. Wie du. Du machst es mit allen Jungs so. Sie schließen ja sogar Wetten über dich ab.«
    »Wetten?«, wiederhole ich.
    »Wer dich als Erstes ins Bett bekommt.«
    »Ich habe keine Ahnung …«
    »Und jetzt spielst du die Unschuld. Tu nicht so, als wüsstest du nichts davon.«
    »Wer schließt Wetten ab?«
    »Die Studenten. Allen voran dieser Sam Ivy. Du genießt das, oder? Du genießt es, wie sie hinter dir her sind.«
    Sie lässt mich abrupt los. Ich falle auf die Knie. Mein Kopf schnellt nach oben. Meine Stirn prallt gegen das Geländer. Ich schließe vor Schmerz die Augen. Dann spüre ich etwas Kaltes in meinem Gesicht. Ich will es wegwischen und stoße gegen etwas Hartes. Also öffne ich die Augen, brauche einige Sekunden, um zu begreifen, dass sie mir eine Waffe an die Stirn hält. Sie ist nicht größer als ihre Hand.
    »Hoch mit dir.«
    Mühsam erhebe ich mich.
    »Und jetzt kletterst du auf das Geländer.«
    Ich bewege mich nicht.
    »Mach schon. Ich werde nicht warten. Der Tod hat keine Zeit, verstehst du?« Sie lacht. »Und das Urteil ist gefällt. Es gibt kein Zurück. Auch wenn ich den Zeitpunkt bestimme, so hast du doch die Wahl. Das ist mehr, als ein Mensch verlangen kann. Wählen zu können, wie er stirbt. Siehst du, wie großzügig ich bin?«
    Ihr Gesicht ist verzerrt. Nichts ist mehr übrig von der verständnisvollen Psychologin, die so besorgt um mich war. In ihren Augen sehe ich den Hass und … die Angst. Sie hat Angst. Sie fürchtet sich. Für den Bruchteil einer Sekunde überkommt mich Erleichterung. Sie ist nicht so entschlossen, wie sie tut, aber dann flüstert sie: »Wünschst du dir nicht auch manchmal, alles sei einfach zu Ende? Sehnst du dich nicht auch nach der großen Ruhe? Nicht mehr kämpfen zu müssen gegen die Dämonen in deinem Innern, die sich dir im Leben immer wieder in den Weg stellen?«
    Und ich begreife. Sie hat keine Angst vor dem nächsten Schritt, sie fürchtet sich vor dem Leben. Ich bin einer der Dämonen, die sie fürchtet.
    Schönheit.
Lächeln.
Sanftheit.

28. David
    David wurde mitten aus dem tiefen und traumlosen Schlaf durch ein Geräusch gerissen.
    Der Übergang war so abrupt, dass er sich erst einmal orientieren musste. Im Zimmer herrschte ein merkwürdiges Zwielicht, aber die Leuchtziffern der Digitaluhr sagten ihm, dass es schon kurz nach fünf war.
    Es war tatsächlich Morgen geworden – was er nach dieser schrecklichen Nacht nicht mehr zu glauben gewagt hatte.
    Er lag mit angehaltenem Atem da und lauschte. Warum signalisierte sein Körper ihm auf einmal die höchste Alarmstufe?
    Hatte er wirklich etwas gehört?
    Aber was?
    Es hatte nicht wie eines der Geräusche geklungen, die normalerweise durch das Apartment drangen und die ihm im Laufe der Zeit hier oben vertraut geworden waren: das Rauschen von Wasser, Schritte, Türen, die auf und zu gingen.
    Er versuchte, sich zu entspannen, und lauschte noch angestrengter, aber das einzige
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