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Der Fluch vom Valle della Luna

Der Fluch vom Valle della Luna

Titel: Der Fluch vom Valle della Luna
Autoren: Rosa Cerrato
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sind wieder blau, zumindest scheint es so, doch sehr viel kälter als vorher.
    »Nein, du hast nichts verpasst. Das ist die Abmachung, und an Abmachungen hält man sich. Also, ich wollte mit dir über eine seltsame Geschichte reden. Sagt dir der Anwalt Anselmo Pisu etwas?«
    Nelly sieht ihn fragend an. Sie muss an ihre Unterhaltungen mit Sandra und Rivelli denken.
    »Avvocato Pisu? Der hat doch einen Unfall gehabt. Er ist den Treppenschacht runtergestürzt und liegt jetzt im San-Martino-Krankenhaus im Koma.«
    »Er ist vor zwei Stunden gestorben. Rivelli hat mir gesagt, dass morgen die Autopsie und Freitag die Beisetzung ist. Ich habe mir überlegt hinzugehen. Ich kannte ihn, wenn auch nur flüchtig. Kommst du mit?«

III
     
    An diesem Freitag nieselte es nicht. Eisiger Schneeregen fiel auf die graue Stadt, die Kälte drang einem bis ins Mark. Die Autos, die aus dem Inland kamen, hatten bereits Schnee auf den Dächern, er war also nicht mehr weit weg. Ideales Wetter für eine Beisetzung. Das reine Vergnügen. Und die Autopsie hat nichts Auffälliges ergeben. Keinerlei Gewalteinwirkung vor dem Unfall, nichts. Sämtliche Brüche stimmen mit dem Sturz in den Treppenschacht überein. Ein Rätsel oder tatsächlich nur Pech, wie Rivelli behauptet.
    Die San-Martino-Kirche war gerammelt voll mit Verwandten, Freunden, Bekannten, Kollegen, die es mit dem Sauwetter aufgenommen hatten, um Avvocato Anselmo Pisu das letzte Geleit zu geben. In ihren biberfarbenen Mantel mit der weiten Kapuze gehüllt – ein Irrsinn, obwohl sie ihn letztes Jahr im Schlussverkauf erstanden hatte –, stand Nelly mit zu Eisklümpchen gefrorenen Zehen neben einem hocheleganten Tano in rauchfarbenem Mantel und nutzte den nicht enden wollenden Trauergottesdienst dazu, die Anwesenden in Augenschein zu nehmen. Undurchdringliche Beileidsmienen. Einzig das Gesicht der dreiundzwanzigjährigen Tochter des Verstorbenen war tränenüberströmt und zeigte wahren Schmerz. Wie heißt die noch gleich? Sandra hat’s mir gesagt. Serena, genau. Sie war mittelgroß, blass und blond und trotz der Augenringe und des leidverzerrten Gesichtes sehr hübsch. Der Bruder Giancarlo, ein junger Mann um die fünfundzwanzig, stand steif und ausdruckslos neben ihr. Er war dunkel und ziemlich groß, die Mutter hingegen war blond – inzwischen gefärbt, doch es musste ihre ursprüngliche Haarfarbe gewesen sein – wie die Tochter. Sandra hat sie ... Alice genannt, genau, Alice. Sehr gepflegt, schlank und elegant in einem nerzgefütterten Mantel. Sie wirkte seltsam unbeteiligt, vielleicht war es der Schock? Ein Mann um die fünfzig stand neben ihr und hielt ihre Hand. Er war rund eins fünfundsiebzig groß und kräftig, hatte graumeliertes, halblanges Haar und etwas Pseudokünstlerhaftes an sich. Na klar, der Regisseur, der Bruder des Toten. Alceo Pisu. Auf der anderen Seite eine Frau gleichen Alters, gepflegt, gut geschminkt, dunkel mit mahagonifarbenen Strähnen. Marilena Pizzi, die Schwester. Die berühmte Schönheitschirurgin. Erfolglos suchte Nellys Blick nach der anderen Schwester. Wie hieß die noch? Maria Grazia? Vielleicht konnte sie nicht kommen, wegen der kranken Mutter. Dann der letzte Gruß, die Beileidsbekundungen derer, die den Verstorbenen nicht mehr auf den Friedhof von Staglieno begleiten würden und sich hier verabschiedeten. In der Gruppe Familienangehöriger entdeckte Nelly Sandra in einer dreiviertellangen Kamelhaarjacke mit schwarzem Spitzenschleier. Sie nickten einander zu, und Sandra machte ihr ein Zeichen, dass sie sie anrufen würde. Tano hatte sich hinter verschiedenen Richtern und Anwälten, die Nelly persönlich oder vom Sehen kannte, in die Schlange der Kondolierenden eingereiht. Der Richter Luca Ferrari, mit dem sie einmal eine kurze Affäre gehabt hatte, entdeckte sie und lächelte ihr zu. Sie nutzte die Gelegenheit und ging zu ihm, um etwas über den Verstorbenen zu erfahren.
    »Ciao, meine Liebe. Wie geht es dir?«
    »Ciao, Luca. Danke, gut. Und dir?«
    »Bestens. Und bei Mau, alles in Ordnung?«
    »Ja, er ist jetzt in Mailand, zum Studieren.«
    »Die Zeit ist schlimmer als ein Transrapid, ich weiß noch, wie er gerade auf die Welt gekommen war ...«
    Nelly kniff die Lippen zusammen und hakte ihn unter.
    »Stimmt. Hör mal, Luca. Anselmo Pisu, kanntest du den gut? Wie war der so?«
    Er zog die Brauen hoch, als dächte er nach. Dann beugte er sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr.
    »Überheblich. Nervtötend. Brillant, aber nicht besonders
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