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Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Titel: Der Fluch des Verächters - Covenant 01
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Covenant beständigen Anlaß zur Verwunderung, daß sie den Lebensunterhalt durchs Zureiten von Pferden verdiente. Die Bezeichnung Zureiten vermochte ihrer Geschicklichkeit im Umgang mit Tieren jedoch nicht gerecht zu werden. Bei ihrer Arbeit kam es zu keinen Kraftproben, gab es keine Hengste, die sich mit irren Augen und Schaum vor den Nüstern aufbäumten. Für Thomas Covenant war es nicht so, daß sie Pferde zuritt, sie verführte sie. Ihre Berührung flößte den Pferdemuskeln, wenn sie zuckten, Ruhe ein. Der Klang ihrer leisen Stimme lockerte die Steilheit ihrer aufgerichteten Ohren. Wenn sie ohne Sattel aufstieg, ließ der Druck ihrer Beine die Heftigkeit der tierischen Furcht schwinden. Und sobald sich ein Pferd der Kontrolle entzog, glitt sie einfach von seinem Rücken und ließ es sich allein austoben, bis die Zuckungen seiner Wildheit abebbten. Danach begann sie von vorn mit dem Tier zu arbeiten. Am Ende ritt sie jedes Tier in rasendem Galopp rund um die Haven Farm, um ihm zu zeigen, daß es sich bis zu seinen eigenen Grenzen betätigen konnte, ohne ihre Herrschaft abschütteln zu müssen. Durchs Zuschauen hatte sich Covenant von ihrer Befähigung herausgefordert gefühlt. Doch auch nachdem sie ihn das Reiten gelehrt hatte, vermochte er seine Furcht vor Pferden nicht zu überwinden.
    Ihre Arbeit war nicht gerade lukrativ, aber sie verhinderte, daß sie und ihr Ehemann verhungerten, bis schließlich eines Tages vom Verlag ein Schreiben eintraf, das ihm die Annahme des Manuskripts mitteilte. An diesem Tag entschied Joan, daß die Zeit für ein Kind gekommen sei. Infolge der üblichen Verzögerungen, die bei Veröffentlichungen auftreten, mußten sie fast ein Jahr lang von einem Vorschuß auf Covenants Honorare leben. Joan blieb auf die eine oder andere Weise in ihrer Stellung zur Verfügung, soweit es möglich war, ohne die Sicherheit des in ihrem Leib geborgenen Kindes zu gefährden. Dann, sobald ihr Körper ihr verriet, daß die Geburt bevorstand, hörte sie auf zu arbeiten. Von diesem Zeitpunkt an kehrte sich ihr Leben nach innen, richtete sich mit einer Zielbewußtheit auf die Aufgabe aus, ihr Kind großzuziehen, die ihren Blick oftmals äußerlich ausdruckslos und mit nichts erfüllt als Erwartung machte. Nach der Geburt des Jungen verkündete Joan, er solle Roger heißen, wie ihr Vater und ihres Vaters Vater.
    Roger! Covenant stöhnte auf, als er sich dem Eingang zum Büro der Telefongesellschaft näherte. Der Name hatte ihm eigentlich nie gefallen. Aber das Kindergesicht seines Sohnes, so fein und schön herausgebildet, so menschlich und vollkommen, hatte seinem Herzen einen Schmerz aus Freude und Stolz bereitet – ja, Stolz, des Vaters Teilhabe an diesem Geheimnis. Und nun war sein Sohn fort – mit Joan fort, und er wußte nicht, wohin. Weshalb war er so völlig außerstande zum Weinen?
    Im nächsten Augenblick zupfte eine Hand an seinem Ärmel. »Heda, Mister!« sagte eine helle Stimme ebenso furchtsam wie eindringlich. »Heda, Mister!« Er drehte sich zur Seite, in seiner Kehle einen Aufschrei – ›Nicht anrühren! Ausgestoßener! Unrein!‹ –, aber als er das Gesicht des Jungen sah, der seinen Ärmel gepackt hatte, blieb er stumm, versäumte er es, sich loszureißen. Der Junge war noch klein, kaum mehr als acht oder neun Jahre alt – sicherlich war er noch nicht alt genug, um soviel Furcht zu empfinden. Sein Gesicht war aus Schrecken und Nötigung fleckig, bleich und gerötet zugleich, als zwinge ihn irgend etwas zu einer Tat, die ihn entsetzte. »He, Mister!« sagte er in leicht flehentlichem Tonfall. »Hier, nehmen Sie das.« Er schob ein altes Stück Papier in Covenants taube Finger. »Er sagte mir, ich soll es Ihnen geben. Sie sollen's lesen. Bitte tun Sie's, ja, Mister?« Unwillkürlich schlossen sich Covenants Finger um das Stückchen Papier. Er? dachte er benommen, während er den Jungen anstarrte. Er? »Er.« Der Junge deutete mit einem zittrigen Finger hinter sich den Bürgersteig hinab. Covenant blickte in die gewiesene Richtung und sah um einen halben Häuserblock entfernt einen alten Mann in einem schmutzigen ockerbraunen Gewand stehen. Er brabbelte vor sich hin, sang beinahe einen dumpfen Unsinnssingsang; sein Mund hing offen, obwohl sich sein Kinn und die Lippen nicht regten, um sein Genuschel zu erzeugen. Sein langes, zottiges Haar und sein gleichartiger Bart wehten im schwachen Wind. Er hatte sein Gesicht zum Himmel erhoben; allem Anschein zufolge starrte er direkt in die
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