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Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Titel: Der Fluch des Verächters - Covenant 01
Autoren: Stephen R. Donaldson
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vielversprechend sein. Covenant hörte nur halb zu. Er spürte abstrakte Schwingungen des Grauens in dem Wort Lepra , aber sie überzeugten irgendwie nicht. Sie machten auf ihn soviel Eindruck wie Drohungen in einer unbekannten Sprache. Die Worte selbst hinter dem Tonfall der Drohungen besagten ihm nichts. Er musterte das ernste Gesicht des Arztes, als sei er von neuem Zeuge der unverständlichen Gemütsaufwallung Joans, und ging nicht auf ihn ein. Doch als Covenant im Leprosorium in ein Zimmer eingewiesen worden war – einen kleinen quadratischen Raum mit einem kahlen, weißen Bett und antiseptischen Wänden –, schlug der Arzt einen anderen Ton an. ›Mr. Covenant‹, sagte er unvermittelt, ›anscheinend begreifen Sie nicht in vollem Umfang, worum es hier geht. Kommen Sie mit. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.‹ Covenant folgte ihm auf den Korridor. ›Sie haben‹, sprach der Arzt unterwegs weiter, ›was wir einen Primärfall von Hansens Krankheit nennen – einen ursprünglichen Fall, also einen, der keine ... keine Genealogie hat. Achtzig Prozent der Fälle in diesem Land betreffen Leute – Einwanderer und dergleichen –, die sich als Kinder im Ausland angesteckt haben ... meist in tropischem Klima. Bei Ihnen wissen wir zumindest, wo Sie sie sich zugezogen haben, wenn wir schon nicht herausfinden können, warum oder wie. Selbstverständlich können die Erkrankungen, ob es sich nun um Primär- oder Sekundärfälle handelt, den gleichen allgemeinen Verlauf nehmen. Aber grundsätzlich wachsen Menschen mit Sekundärfällen in Gegenden auf, wo Hansens Krankheit weniger rätselhaft ist als hier. Sobald sie erkrankt sind, merken sie gewöhnlich, was sie da bekommen haben. Das bedeutet, sie besitzen eine größere Chance, um sich rechtzeitig um Hilfe zu bemühen. Und nun möchte ich, daß Sie einen unserer anderen Patienten kennenlernen. Es handelt sich um den einzigen weiteren Primärfall, den wir gegenwärtig hier haben. Er war so etwas wie ein Einsiedler ... er hauste ganz allein und weitab von jedermann in den Bergen im westlichen Virginia. Was mit ihm geschah, erfuhr er erst, als die Armee mit ihm Verbindung aufzunehmen versuchte – um ihm mitzuteilen, daß sein Sohn im Krieg gefallen war. Als der Offizier den Mann sah, verständigte er sofort den Staatlichen Gesundheitsdienst. Und der Gesundheitsdienst schickte den Mann uns.‹ Der Arzt blieb vor einer Tür stehen, die jener von Covenants zellenähnlichem Raum ähnelte. Er klopfte, wartete jedoch keinen Zuruf ab. Er schob die Tür einwärts, nahm Covenant am Ellbogen und führte ihn ins Zimmer. Als er die Schwelle überquerte, drang ein widerwärtig scharfer Gestank an Covenants Nase, ein Geruch wie nach verwesendem Fleisch und Latrine. Er widerstand allen Überlagerungsversuchen durch Karbolsäuren und Duftstoffen. Er stammte von einer eingeschrumpelten Gestalt, die auf groteske Weise auf dem weißen Bett saß. ›Guten Tag‹, sagte der Arzt. ›Dies ist Thomas Covenant. Bei ihm liegt ein Primärfall von Hansens Krankheit vor, aber anscheinend begreift er noch nicht die Gefahr, in der er schwebt.‹
    Langsam hob der Patient seine Arme, als wolle er Covenant an sich drücken. Seine Hände waren geschwollene Stümpfe, Klumpen ohne Finger aus rosafarbenem, entzündetem Fleisch, gezeichnet von Rissen und Geschwüren, aus denen durch die Schicht von aufgetragenen Salben eine gelbliche Ausscheidung sickerte. Diese Klumpen befanden sich an dürren, verkrümmten Armen, die knotigen Stöcken glichen. Und obwohl die klinikeigene Pyjamahose seine Beine verhüllte, fiel ihre Ähnlichkeit mit knorrigen Ästen auf. Vom einen Fuß fehlte die Hälfte, war abgefressen, und an der Stelle des anderen Fußes war nichts als eine unheilbare schwärende Wunde. Dann bewegte der Patient die Lippen, um zu sprechen, und Covenant hob seinen Blick in das Gesicht. Die stumpfen, mit Katarakten durchsetzten Augen saßen darin wie der Mittelpunkt einer Aufwerfung. Die Haut der Wangen war weißlich-rosa wie bei einem Albino; sie warf Beulen und floß von den Augen davon wie in Wellen, zerlaufen, als wäre sie bis zum Schmelzpunkt erhitzt worden; und auf den Kämmen dieser Wellen saßen dicke tuberkulöse Knoten. ›Bringen Sie sich um!‹ rasselte die gräßliche Stimme des Patienten. ›Besser als das hier.‹
    Covenant riß sich vom Arzt los. Er stürmte auf den Flur und erbrach den Mageninhalt auf den sauberen Fußboden und gegen die blanken Wände wie einen Auswurf der Empörung. In
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