Der Fluch der Maorifrau
lag, überlegte sie, wie sie ihm aus dem Weg gehen könnte. Die Erkenntnis, dass sie keine andere Wahl hatte, als bis an das Ende ihrer Tage mit ihm unter einem Dach zu leben, war niederschmetternd. Es sei denn, sie brachte ihn um oder setzte ihrem Leben ein Ende, aber das verbot ihr die christliche Gesinnung. Sie spielte auch flüchtig mit dem Gedanken, sich heimlich an Bord der Margarete zu schleichen und nach Hamburg zurückzukehren, aber auch das war wohl keine gute Idee. Ihr Onkel Rasmus würde ihr keine Bleibe geben. Eine Frau, die ihrem Mann davongelaufen war, besaß keine Rechte. In Hamburg würde sie unweigerlich im Damenstift enden und ein Dasein als gefallenes Mädchen im Dienste des Herrn fristen. Nein, dazu war ihre Lebensfreude zu groß. Sie war nicht der Mensch, der sich hinter dicken Mauern verkroch und vor den Herausforderungen des Alltags flüchtete.
Nach stundenlangem Grübeln beschloss Anna, dass sie sich diesem Leben stellen musste, das das Schicksal nun einmal für sie vorgesehen hatte. Und sie nahm Abschied von der tiefen Sehnsucht, noch einmal einen Mann so zu lieben wie Frederik. Trotz der Schicksalsgemeinschaft mit Christian, den sie zutiefst verabscheute, würde sie versuchen, ein kleines bisschen Glück zu finden. Dieses Glück würde ihr jedoch niemals in dieser Ehe zuteil werden.
Anna spürte, wie ihr nun heiße Tränen über das Gesicht liefen. Sie weinte nicht, weil ihr Mann sich bei einer anderen Frau das geholt hatte, was sie ihm niemals würde geben können. Nein, sie weinte um diese junge Frau, die wahrscheinlich ein Kind von ihm erwartete, ein Kind, das sie, Anna, ihm vielleicht niemals würde schenken können. Und die er einfach verstoßen hatte, nur, weil er nun wieder das Bett mit seiner Ehefrau teilte. Mit einer Frau, die ihn nicht liebte. Und sie weinte um sich und um ihre verlorene Hoffnung.
Doch plötzlich war die Angst vor ihrem Mann verschwunden. Anna tauchte unter der Bettdecke hervor, unter der sie sich vergraben hatte, damit er sie ja nicht weinen hörte, und setzte sich trotzig auf. Wenn Christian jetzt aufwachte und ihr Schluchzen hörte, würde sie nicht mehr zusammenzucken, denn sie hatte keine Achtung mehr vor ihm. Sie würde sich ihre Empfindungen nicht mehr vorschreiben lassen. Ihr Innerstes gehörte von diesem Tag an ihr allein, und das würde sie wie einen Schatz hüten. Und wenn er sie dafür rügte, würde sie kämpfen. Es würde in dieser Welt auch einen Platz für sie geben. Sie musste ihn nur finden. Mit diesem Gedanken schlief Anna Peters in jener Januarnacht des Jahres 1863 schließlich erschöpft ein.
Drei Wochen waren nun seit jener schicksalhaften Nacht vergangen. Hine war seitdem spurlos verschwunden. Anna hütete sich, nach ihr zu fragen. Christian war wie verwandelt. Er behandelte seine Frau freundlich und zuvorkommend. Voller Stolz hatte er ihr sogar den Platz gezeigt, an dem ihr neues Haus entstehen sollte. Ein wunderbarer Ort mit Blick über die Bucht von Otago. Die ersten beiden Wochen nach jener Nacht hatte er sie nicht angerührt, doch seit ein paar Tagen zeigte er Verlangen. Anna hatte sich ihn unter dem Vorwand des monatlichen Frauenleidens vom Leib gehalten, aber sie fürchtete den Moment, an dem er sich nicht mehr abweisen ließe.
Davon abgesehen fühlte Anna sich inzwischen besser. Von Tag zu Tag fand sie mehr Gefallen an diesem Flecken Erde. Vor allem gab es viel zu tun. Sie war von morgens bis abends beschäftigt, sodass sie stets früh ins Bett fiel und sofort einschlief. Sie war redlich bemüht, ihre vorübergehende Bleibe wohnlich herzurichten. Sie ließ Christian Möbel herbeischaffen, packte die eigenen Sachen aus und bekochte ihn.
Eines Abends aßen sie im Schein einer Kerze einen Fisch, den Christian mitgebracht und Anna schmackhaft zubereitet hatte. Zwischen ihnen herrschte eine beinahe friedliche Stimmung. Sogar eine Flasche Wein hatte Christian geöffnet, und sie zögerte nicht, auch etwas davon zu nehmen. Sie lächelte bei dem Gedanken, dass sie überhaupt erst einmal in ihrem Leben Alkohol getrunken hatte. Anna erinnerte sich ganz genau an die Wirkung, den der schwere Wein bei ihr gehabt hatte. Das war bei ihrer Hochzeit gewesen, und sie hatte sich mit jedem Glas beschwingter gefühlt. Dass sie soeben die Ehefrau eines Mannes geworden war, der ihr nicht gefiel, war von einem Glas zum nächsten immer weiter fortgeschwemmt worden, und sie hatte getanzt und gelacht, bis Christian sie in das Brautgemach geführt
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