Der Fluch Der Bösen Tat
hatte, dass das, was den Opfern über den Kopf gestülpt wurde, möglicherweise ein Kartoffelsack war, was den irdenen Geruch erklärte. Danach hatte die Presse den Vergewaltiger nur noch Kartoffelmann genannt. Irgendein Witzbold hatte sogar eine Karikatur angefertigt und im Einsatzraum an die Wand geheftet. Die Zeichnung zeigte einen kopflosen ovalen Körper mit kurzen Armen und Beinen und Nase, Mund und Augen im Oval des Rumpfes. Darüber stand GESUCHT. Markby hatte die Zeichnung wütend heruntergerissen.
Und so war es schließlich dazu gekommen, dass er Reverend Pattinson einen Besuch abgestattet hatte, dem alten Vikar von Lower Stovey. Man hatte Markby vorgewarnt, dass Pattinson eine Art Gelehrter war, ein wenig altmodisch nach Meinung von Markbys Informant. Die Sorte Mensch, die zufrieden war mit ihren Büchern, des Sonntags zwei Messen las und eigentlich mehr in eine Pfarrei des achtzehnten Jahrhunderts als in ein Vikariat des zwanzigsten gepasst hätte. Nichtsdestotrotz hatte Pattinson, wie Markby bald feststellte, feste Vorstellungen von seiner Gemeinde und lehnte die Vorstellung mit größter Entschiedenheit ab, unter den Männern könnte sich ein Vergewaltiger befinden. Sie waren allesamt Familienväter, respektabel bis ins Herz, beharrte er. Das Dorf war klein. Jeder kannte jeden. Falls einer der Bewohner ein zur Gewalt neigender Psychopath gewesen wäre, hätten die anderen es gewusst.
Vergeblich hatte Markby darauf hinzuweisen versucht, dass immer irgendjemand irgendetwas wusste. Und dass er es nur nicht sagte. Er hatte die Aufmerksamkeit des Vikars auch auf die Beschreibung der Stimme des Angreifers gelenkt: schroff und zugleich eigenartig.
»Wie die Stimme eines Tiers, wenn ein Tier reden könnte«, hatte eine Frau aus dem Dorf gesagt, das dritte Vergewaltigungsopfer. Markbys Meinung nach deutete das darauf hin, dass der Angreifer seine Stimme verstellt hatte, und warum sollte er so etwas tun, außer, er fürchtete, man könnte sie erkennen – entweder bereits zum Zeitpunkt der Tat oder auch erst später?
Der Vikar blieb eisern. Wer auch immer der Täter sein mochte, es war kein Mann aus Lower Stovey. Viele Leute wanderten über die alte Viehtrift. Neben den Wanderern waren es Landstreicher, New-Age-Hippies, Zigeuner und alles mögliche Gesindel. Die Polizei sollte den Täter unter diesen Leuten suchen, nicht in seiner Gemeinde.
Danach hatte es noch zwei weitere Vergewaltigungen gegeben. Eine war von einer weiteren Dorfbewohnerin gemeldet worden, die andere von einer jungen Frau, die mit dem Fahrrad unterwegs gewesen war und im Wald angehalten hatte, um einem natürlichen Bedürfnis nachzugeben. Im ersten Fall hatte der Kartoffelmann einen einfachen Perlen-Ohrclip an sich genommen, im Fall der Radfahrerin einen kupfernen Armreif.
Und dann war der Kartoffelmann untergetaucht. Es hatte keine weiteren Vergewaltigungen mehr gegeben. Schließlich war er zu etwas Unrealem geworden, einer lokalen Legende, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte, und nur seine Opfer wussten, dass es nicht so war. Die Polizei wusste, dass sie ihn verloren hatte.
Vielleicht hatte der alte Reverend Pattinson Recht gehabt, und der Täter war tatsächlich ein Landstreicher gewesen, der sich vorübergehend in Stovey Woods ein Lager aufgeschlagen hatte und dann, als die Ermittlungen der Polizei zu lästig wurden, weitergezogen war.
Wie dem auch sei, der Kartoffelmann war genauso plötzlich verschwunden, wie er aufgetaucht war. Markby rührte sich in dem beengten Raum seines Autositzes und kehrte in die Gegenwart zurück. Er konnte den Streifenwagen sehen, der im Gras geparkt stand, doch es war keine Menschenseele in der Nähe. Waren die Beamten in den Wald gegangen, wie die Kinder im Märchen, und hatten sich verlaufen? Kein freundlicher Holzfäller in der Nähe, der sie retten konnte. Wer war er eigentlich genau in diesen Märchen, dieser rätselhafte Holzfäller?, fragte sich Markby, während sein Verstand erneut abschweifte. Was sollte er darstellen? Einen Waldgeist vermutlich. Und der Kartoffelmann? Was war er gewesen?
Er stieg aus dem Wagen und stellte fest, dass seine Schuhe im weichen Grund einsanken. Die Bäume tropften noch vom letzten Regen. Er stapfte vorwärts, und bereits nach wenigen Schritten klebte eine dicke Dreckschicht unter seinen Sohlen.
Als er beim Tor ankam, hörte er Stimmen, und drei Gestalten kamen unter den dunklen Bäumen hervor. Zwei waren in Uniform, die dritte trug ein grelles Gelb und
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