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Der fliegende Brasilianer - Roman

Der fliegende Brasilianer - Roman

Titel: Der fliegende Brasilianer - Roman
Autoren: Edition Diá <Berlin>
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kleinen Hände eines feinen Herrn klammern sich fest um den Korbrand.
    Von einer unmerklichen Windströmung erfasst, nähert der Ballon sich dem nächsten Ort. Es ist Nanterre mit seinem Glockenturm voller Storchennester und bitumenbedeckten Holzschindeln. Die Sonne hat inzwischen ihre frühmorgendliche Scheu verloren, den Dunst durchbrochen und scheint jetzt mit kräftig herbstlichem Leuchten auf das Städtchen.
    Die Uhr des Glockenturmes schlägt zur vollen Stunde. Es ist zwölf.
    Wollen wir zu Mittag essen?, schlägt Machuron vor.
    Monsieur sieht sich resigniert zu dem altgedienten Ballonfahrer um. In einem Moment wie diesem zu essen grenzt an Gottlosigkeit. Aber er greift nach dem Korb und holt Servietten und ein Tischtuch heraus. Machuron stellt einen Klapptisch auf, breitet darauf das Tischtuch aus und wirft anschließend einen Blick auf das Menu, das der kultivierte Passagier zusammengestellt hat: dünne Scheiben Roastbeef und Hähnchenfleisch, gekochte Eier mit Bratengelee, verschiedene Sorten Käse und Eis, Früchte der Saison, Nusskuchen, Kaffee und eine schwitzende Veuve Clicquot, ganz zu schweigen von der unten im Korb aufblitzenden Flasche Chartreuse.
    Da er merkt, dass Monsieur zögert, mit der Mahlzeit zu beginnen, will Machuron ihn beruhigen.
    Keine Sorge, dass Sie nach dem Imbiss – der mir köstlich aussieht – schwerer werden, Sie verlagern nur das Gewicht dieser Leckereien vom Tisch in den Magen, das Gleichgewicht bleibt gewahrt.
    Monsieur beschränkt sich indessen darauf, den Champagner zu servieren.
    Und er trinkt auf die Einzigartigkeit dieser Mahlzeit, denn kein Restaurant der Welt hätte so wunderbar sein können.
    Als die Chartreuse-Schlücke die Kehlen hinunterrinnen, wird der Ballon in Richtung Carrière-sous-Bois getrieben, wo Wolken die Baumwipfel streifen. Wallende Dampfströme zischen wie Kaskaden gefrorener Flammen an ihnen vorüber und hinterlassen zarte Schneekristalle auf ihrer Kleidung. Die Stille ist gestört, der schaukelnde Flug ist jetzt eine rasende Fahrt auf die dunklen Wolken zu, die über dem Wald hängen. Machuron passt konzentriert auf. Monsieur wirkt neugierig und gespannt. Dann sind Sonne, Wald und Erdboden verschwunden. Der Ballon ist in das Reich der weißen, verschwommenen Helligkeit der dichten Wolken eingedrungen. Machurons Gesicht verliert seine gesunde, gut durchblutete Farbe und nimmt eine ätherische Tönung an. Monsieur, dessen Sicht nun eingeschränkt ist, blickt auf seine an den Korb geklammerten Hände. Auch sie sind ätherisch und leuchtend geworden und feucht.
    Geschickt leert Machuron noch ein paar Sandsäcke, und der Ballon bringt schnell die Wolkendecke, die über dem Wald hängt, unter sich. Nichts ist mehr zu sehen, und die Welt ist jetzt ein gasförmiger Planet, dessen dampfende Oberfläche sich in beständiger Mutation ihrer Formen befindet. Das Gefühl von Ruhe ist überwältigend, und die Stille bekommt eine nie vermutete Struktur. Im Raum ist die Stille konkret, das Einzige, was Gewicht und Konsistenz besitzt.
    Aber nichts ist dort oben konstant. Schon bald geben die Wolken die Bäume im Wald frei, und der Ballon gleitet sanft über sie hinweg, berührt fast das halb entlaubte Geäst. Machuron breitet eine Karte aus und vergleicht ihre Position. Eine schlichte Feststellung, nichts als Ausdruck des menschlichen Stolzes, denn der Ballon missachtet den Menschenwillen und unterwirft sich allein den Launen des Gottes Äolus.
    Ein fürchterlicher Ruck wirft Machuron und seinen Passagier im Korb zu Boden. Das Schlepptau, das vom Ballon hinunterhing, während dieser über den Wald schwebte, hat sich in einem Baum verfangen. Machuron steht auf und versucht, das Schlepptau zu befreien. Er arbeitet flink, und zum ersten Mal scheint er sehr besorgt zu sein. Nun, da er festhängt, kann der Ballon dem Wind nicht mehr zu Gefallen sein und muss dafür büßen. Die Hülle schaukelt hin und her und schüttelt den Korb wild durch. Machuron hält sich im Gleichgewicht, so gut er kann, und zerrt mit Macht an dem Tau.
    Endlich löst sich das Tau. Und der Ballon macht einen schwindelerregenden Satz in die Höhe.
    Machuron stürzt stolpernd zu den Ventilen. Monsieur greift ruhig zu den Ventilen und lässt sachkundig wie ein alter Fachmann Gas ab. Wir müssen ausgleichen, sonst explodieren wir, schreit Machuron.
    Die Hülle wird schlaffer und verliert ihre runde Form. Der Flug ist zu Ende, schreit Machuron: Zweifellos, pflichtet Monsieur ihm bei, der Ballast ist
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