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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel
Autoren: Leif Davidsen
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Jahre zuvor die Mauer verlaufen war. In der Wohnung im vierten Stock hatten mehrere jüngere Männer gewohnt. Offenbar Bosnier oder Araber, obwohl sie sich wie Deutsche kleideten und Bier tranken.
    Er streckte die Arme über seinen Kopf und dehnte die Muskeln. Das war jetzt auch egal. Er hatte die Tür zu einem Raum, den er sonst strikt geschlossen hielt, einen Spaltbreit geöffnet. Er warf einen Blick auf seinen Computer, aber es wäre hirnverbrannt gewesen, ihn zu benutzen. Er fuhr in ein Einkaufscenter, in dem es auch ein Internet-Café gab. Er bezahlte für eine halbe Stunde und loggte sich bei Yahoo ein. Der Typ, der den Laden führte, hatte bloß auf einen der acht Rechner gezeigt und dann wieder getan, was zur Zeit alle taten: die Augen auf den Fernsehschirm mit den erschreckenden Bildern und den hysterischen Reportern gerichtet.
    Vuk ging auf die dänische Webseite von Yahoo. Er betrachtete die vertrauten und doch sonderbaren dänischen Wörter. Er verstand sie eigentlich sofort, übersetzte sie aber für sich trotzdem ins Englische. Er hatte Lust, diesen dänischen Wörtern nachzugehen und einfach durchs Netz zu surfen, schloß aber statt dessen die Augen und dachte nach. Bestimmte Dinge würde er nie vergessen. Bestimmte Kodewörter, die er in seinem Gedächtnis nur aufzurufen brauchte, denn sie waren der Schlüssel zum Überleben. Es gab bestimmte Mail-Adressen, die er aufrechterhielt, freilich nie von seinem Rechner zu Hause aus. Er klickte das E-Mailprogramm an und gab soelvbjoern als Benutzernamen und bjoernesoelv als Paßwort ein. Der Computer war schnell. Im Posteingang waren keine Spammails verzeichnet. Es war nie eine Mail verschickt worden, nur eine empfangen, die er sich selbst geschickt hatte, bevor er die Absenderadresse löschte. Diese kostenlosen Briefkästen im Internet waren eine Erfindung, die ihm in den letzten Jahren sehr von Nutzen gewesen war. Die Mail enthielt einen Kodeschlüssel. Er speicherte ihn und schloß die Mailadresse, bevor er sich aufs neue einloggte. Es waren vier Mails eingegangen. Er öffnete die erste. Es erschienen Kodezeichen. Er schaute sich um. Keiner sah in seine Richtung, als er die Zeichen entschlüsselte. Es war eine Berliner Adresse samt Namen. Er prägte sich beides ein und loggte aus. Er verließ Yahoo, dann löschte er die Internetordner, die er benutzt hatte. Die ganze Operation hatte nur einen Augenblick gedauert, aber er blieb noch eine halbe Stunde sitzen und surfte durchs Netz: unschuldige Webseiten über Jagd und Angeln, Internetzeitungen, die in diesen Tagen alle besuchten, und schließlich die neuesten Footballergebnisse. Die ließ er stehen, ehe er die zusätzlichen Minuten bezahlte und das Café verließ.
    Er fuhr nach Hause zurück. Im Radio spielte Bruce Springsteen: » You can’t start a fire without a spark. This gun’s for hire. «Die Klimaanlage lief auf vollen Touren. Trotzdem hatte er feuchte Hände. Das war immer so, wenn er die Tür zu dem heimlichen Universum öffnete, das er gewöhnlich mied, aber eben doch nicht ganz verlassen konnte. Bis vor kurzem hatte er geglaubt, daß es in einigen Jahren vielleicht nur noch eine ferne Erinnerung sein würde. Wie die Narbe nach einer schwierigen Operation, die zwar noch an die Schmerzen erinnerte, aber eben keine schwärende Wunde mehr war, deren Heilung man nicht absehen konnte.
    Als er Annas Auto in der Einfahrt stehen sah, entspannte er sich allmählich wieder. Er mußte Ruhe bewahren. Er mußte die Fassade aufrechterhalten und ein normales Leben führen. Er parkte hinter Annas Wagen, empfing die Kinder mit offenen Armen und signalisierte seiner besorgt dreinblickenden Frau, daß alles in Ordnung war und sich schon wieder einrenken würde.
    »Warum bist du zu Hause?« sagte sie und verschränkte die Arme über der Brust.
    »Die Kunden haben abgesagt. Ich habe ein paar Tage freigekriegt.«
    »Und wann kommen sie wieder?« fragte sie.
    Er richtete sich auf und ging ihr mit den Kindern an der Hand entgegen.
    »Bald. Das geht schon vorüber. Die Gäste kommen irgendwann wieder. Machen wir uns in der Zwischenzeit ein paar schöne Tage. Was meint ihr, Kinder, sollen wir baden gehen?«
    »Alle zusammen?« riefen die Zwillinge wie aus einem Mund.
    »Genau. Alle zusammen«, sagte er und versuchte Anna mit seinem Blick zu beruhigen. »Die Leute kommen schon wieder, Schatz. Die Sache geht vorbei. Alles geht irgendwann vorbei.«
    Die Kinder ließen seine Hand los und stürmten ins Haus. Sie legte die Arme
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