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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin
Autoren: Boris Akunin
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es besser zu sterben. Nur Daniel und Pawlina taten ihm Leid.
    Sein Entschluss war seinem Gesicht offenbar anzumerken, denn Alexej Woinowitsch wich zurück und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er sich an etwas erinnern, könne es aber nicht.
    »Kitzelst du am Höcker deiner Vaterliebe?«, höhnte Maslow. »Die neueste Entdeckung der Deutschen besagt: Alle Charaktereigenschaften des Menschen sind an Schädelhöckern abzulesen. Du würdest besser den Höcker der Entschlossenheit kultivieren. Ich werde Beweise für deine Ergebenheit brauchen.«
    Vater wandte sich dem Geheimrat zu und fragte entsetzt:
    »Ich selber? . . . Ihr wollt, ich soll . . . eigenhändig? Das ist zu viel verlangt! Das kann ich nicht! Schließlich ist er mein eigen Fleisch und Blut!«
    Und er fiel auf die Knie, faltete die Hände wie zum Gebet und stimmte ein durchdringendes Geheul an.
    Maslow sagte belehrend:
    »Ich sollte das eigentlich von dir fordern! Um dich möglichst fest an mich zu binden. Aber du wirst das ohnehin kaum fertig bringen und nur Lärm und Dreck machen. Ich persönlich beherrsche so etwas auch nicht perfekt«, gab er zu. »Dafür habe ich meine Fachleute. Ich habe gelogen, als ich gesagt habe, ich sei alleine angereist. Meine Helfer warten hier in der Nähe an der Poststation. Die machen das alles. Keine Angst, die hinterlassen keine Spuren. Also, nimm ihn an der Hand, du Minister in spe, damit er sich nicht losreißt, und stopf ihm das Maul, das ist alles, was ich von dir will.«
    Mithridates schrie nicht und sträubte sich nicht. Eine alles umfassende Gleichgültigkeit überkam ihn. Vater murmelte ein Gebet, zog ihn näher an sich heran und bedeckte seinen Mund mit der heißen Hand. Ob er hineinbeißen sollte, dachte Mitja träge. Sollte er ein sichtbares Andenken an Vaters Jüngsten hinterlassen? Ach, Unsinn . . .
    »So ist es richtig, so ist es gut«, flötete Prochor Iwanowitsch, während er ein Fläschchen aus der Tasche holte. »Noch eine deutsche Erfindung, die sehr viel praktischer ist als die Schädelhöcker. Ein Betäubungsmittel. Die Chemie steht für mich höher als die anderen Wissenschaften, sie ist die wahre Königin der Gelehrsamkeit.«
    Er träufelte etwas auf ein Tuch und zog es Mitja über das Gesicht. Immer wieder tropften Vaters Tränen auf seinen Scheitel.
    Das Tuch roch scharf und widerlich. Er atmete ein, ein Kitzeln ging durch seinen Schädel, ihm wurde schwindelig.
    »Für alles Andere brauche ich dich nicht«, drang Maslows Stimme von weitem an sein Ohr und entfernte sich mit jeder Sekunde. »Du brauchst mir nur zu helfen, ihn einzuwickeln und zum Schlitten zu bringen. Der Junge ist zwar nicht groß, aber ein Gewicht von anderthalb Pud wird er schon haben. Die Ärzte haben mir verboten, mehr als zwanzig Pfund zu heben . . .«
    Und ein wenig später hörte er – ob im Wachzustand oder im Traum, das war nicht zu entscheiden:
    »Um die Beerdigung brauchst du dich nicht zu kümmern. Hier in der Nähe ist das Kloster Neu-Jerusalem. Ein Ort der Andacht und der Stille. Ich habe da einen Vertrauensmann. Der begräbt ihn und sorgt für ein Kreuz auf seinem Grab. Wenn du möchtest, kannst du später einen Gedenkstein für ihn anfertigen lassen . . .«
    Weiter hörte Mitja nichts mehr, er war eingeschlafen. Er schlief ohne Träume und kurze wache Augenblicke, die den Schlaf normalerweise begleiten. Ihm waren schlicht die Lider schwer geworden und zugefallen, und als er sie wieder aufmachte, sah er den schwankenden grauen Himmel über sich.
    Ein Pferd wieherte, etwas Metallisches klimperte – wahrscheinlich Pferdegeschirr.
    Morgengrauen. Ein fahrender Schlitten.
    Die Hirnsubstanz sträubte sich vorläufig, längere Gedanken zu produzieren, sie war noch starr. Mit seinem Mund war es noch schlechter bestellt; er war so ausgetrocknet, dass die Zunge am Gaumen klebte.
    Mithridates klapperte mit den Augendeckeln, und von dieser simplen Übung wurden der Blick klarer und die Gedanken ein bisschen länger.
    Ein Tuch mit einer stinkenden Lösung. Maslow ist der Große Magier. Vaters Träume sind in Erfüllung gegangen. Das Kloster Neu-Jerusalem. Waren sie noch nicht da?
    Er richtete sich auf und sah den vornüber gebeugten Kutscher von hinten: verschneite Pelerine, hochgeschlagener Kragen.
    Das konnte nicht Prochor Iwanowitsch sein. Der hatte schmalere Schultern. Wahrscheinlich der Fachmann, von dem der Geheimrat gesprochen hatte.
    Warum war er nur zu sich gekommen? Nur um sich erneut zu quälen?
    Da
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