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Der Fangschuss

Der Fangschuss

Titel: Der Fangschuss
Autoren: Marguerite Yourcenar
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Grimassen ein feindliches Heer in die Flucht geschlagen hätten. Sonja hingegen hatte die allzu runden Kinderbacken verloren. Sie war schön. Die Mode der kurzen Haare stand ihr gut. Ein bitterer Zug um die Mundwinkel verstärkte den leicht mürrischen Ausdruck ihres Gesichts. Sie las abends nicht mehr, sondern vertrieb sich die Langeweile durch heftiges Stochern im Kaminfeuer des Salons, wobei sie hin und wieder tief aufseufzte wie eine weltmüde Ibsensche Heroine.
    Aber statt vorzugreifen, will ich lieber jenen Augenblick der Heimkehr genau beschreiben: wie Michel in seiner lächerlichen Livreejacke und Soldatenhose uns die Tür öffnete und uns im Vestibül, dessen Lüster nicht mehr brannte, mit ausgestrecktem Arm die Stallaterne ins Gesicht hielt. Die weißen Marmorwände sahen immer noch so eisig aus, daß man unwillkürlich an eine Louis XV-Dekoration aus Schnee in einer Eskimobehausung denken mußte. Wie könnte ich je den gleichzeitigen Ausdruck zärtlicher Rührung und tiefen Widerwillens auf Konrads Gesicht vergessen, als er in dieses Haus zurückkehrte, dessen Zustand immerhin noch so gut war, daß jede kleinste Entstellung ihn persönlich kränkte, ob es nun das große, unregelmäßig sternförmige Loch eines Revolverschusses in dem Spiegel über der Haupttreppe war oder die Fingerabdrücke um die Klinke der Salontür. Die beiden Frauen lebten wie eingemauert in einem Boudoir der ersten Etage. Konrads helle Stimme bewog sie, sich bis auf die Schwelle vorzuwagen. Ich sah oben auf der Treppe einen blonden Struwwelkopf erscheinen. Sophie ließ sich in einem Rutsch das Treppengeländer hinuntergleiten; ein Hund lief hinter ihr her, der nach ihren Hacken schnappte. Sie warf sich unter Lachen und Freudensprüngen erst ihrem Bruder, dann mir um den Hals.
    »Bist du's wirklich? Seid ihr's wirklich?«
      »Zur Stelle!« sagte Konrad, »oder vielmehr: Nein. Es ist der Prinz von Trapezunt.« Er nahm seine Schwester in den Arm und tanzte mit ihr durchs Vestibül. Aber schon ließ er sie wieder los und eilte mit ausgestreckten Händen auf einen alten Kameraden zu, während sie, rot wie Mohn, vor mir stehenblieb.
    »Wie Sie sich verändert haben, Erich!«
    »Nicht wahr?« sagte ich. »Kaum wiederzuerkennen.«
    »Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf.
    »Aufs Wohl des verlorenen Bruders!« rief der kleine Franz von Aland, der, ein Glas Kognak in der Hand, auf der Türschwelle des Speisezimmers stand und nun hinter dem jungen Mädchen herlief.
    »Komm, Sophie! Nur einen kleinen Schluck!«
      »Sie wollen sich über mich lustig machen?« rief das junge Mädchen mit spöttischer Miene, schoß plötzlich unter dem ausgestreckten Arm des jungen Offiziers hindurch in die halboffene Glastür der Anrichte und rief uns zu:
    »Ich werde fürs Essen sorgen.«
      Währenddessen verschmierte sich Tante Praskovia, aufs Treppengeländer der ersten Etage gestützt, ihr Gesicht langsam mit Tränen und behauptete gurrend wie eine kranke Taube, daß ihre Gebete uns gerettet hätten. Ihr Zimmer roch nach Wachs und Tod, und überall hingen vom Kerzenrauch geschwärzte Ikonen, unter denen sich eine sehr alte Madonna befand, die einmal zwei Smaragde unter ihren silbernen Augenlidern getragen hatte. Während der kurzen bolschewistischen Besatzungszeit hatte ein Soldat die kostbaren Edelsteine herausgenommen, so daß Tante Praskovia jetzt vor einer blinden Gottesmutter betete. Nach kurzer Zeit kam Michel aus dem Keller mit einer Schüssel geräucherter Fische. Konrad rief vergeblich nach seiner Schwester, und Franz von Aland gab uns achselzuckend zu verstehen, daß sie jetzt nicht wieder erscheinen würde. Wir aßen ohne sie zu Abend.
    Am nächsten Morgen sah ich sie bei ihrem Bruder wieder, aber sie entschlüpfte uns mit der Geschmeidigkeit einer jungen verwilderten Hauskatze. Und doch hatte sie mich in der ersten Freude des Wiedersehens voll auf den Mund geküßt. Ich überlegte unwillkürlich, daß dies der erste Kuß war, den ein junges Mädchen mir gab, und ich bedauerte, daß meine Eltern mir keine Schwester geschenkt hatten. Natürlich adoptierte ich statt dessen Sophie, soweit das möglich war. Das Leben auf dem Schloß nahm während der Kriegspausen seinen gewöhnlichen Gang. Die Dienerschaft war auf ein altes Kindermädchen und auf Michel, den Gärtner, reduziert. Dagegen hatten sich ein paar russische, aus Kronstadt geflohene Offiziere bei uns eingefunden, die man wie die Gäste eines nicht enden wollenden Jagdfestes
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