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Der falsche Zeuge

Der falsche Zeuge

Titel: Der falsche Zeuge
Autoren: Stella Blómkvist
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sich einen dunklen Overall über ihre feine Kleidung gezogen. Und die Handschuhe gewechselt.
    »Jetzt oder nie!«, zische ich.
    Jódís macht sich an der großen Flügeltür des Schuppens zu schaffen. Sie schiebt sie zur Seite, bis die breiten Türen sperrangelweit geöffnet sind.
    »Mach schnell!«
    Drífa schüttelt den Kopf.
    Ich lasse mich in den Sitz zurückfallen. Die letzte Hoffnung stirbt aus. Heimlich, still und leise.
    Jódís stapft zurück zum Jeep. Holt eine Reisetasche, die im Kofferraum liegt, und trägt sie in den dunklen Schuppen.
    Aber sie erscheint schnell wieder. Ohne Tasche. Und gibt Drífa ein Zeichen, zu ihr zu kommen.
    Sie flüstern zusammen vor der Schuppentür.
    Ich unternehme einen verzweifelten Versuch, die Handschellen loszuwerden. Aber es ist aussichtslos.
    Drífa geht zurück zu Siggi Pallis Jeep. Aber Jódís kommt zurück. Sie setzt sich in den Beifahrersitz neben mich. Steckt den Schlüssel ins Zündschloss. Lässt den Motor an. Ergreift den Schalthebel. Schiebt die Automatikschaltung auf Drive.
    »Fahr in den Schuppen«, befiehlt sie.
    Ich rucke wieder an den Handschellen. Wenn ich nur den Rückwärtsgang einlegen könnte! Dann hätte ich wenigstens eine winzig kleine Chance.
    Aber Jódís hat alles fest im Griff.
    »Stell dich doch nicht so an!« Sie schiebt meine linke Hand vom Schalthebel. »Und nimm den Fuß von der Bremse«, fügt sie hinzu.
    Die Scheinwerfer schicken ein schwaches Licht in den heruntergekommenen Schuppen. Er scheint völlig leer geräumt zu sein. Und verlassen.
    Der perfekte Ort für ein schreckliches Verbrechen.
    »Ich habe gesagt, dass du da reinfahren sollst!«
    Diese ungehobelte Frechheit in Jódís’ Stimme ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
    Eine ungeheure Wut erfasst mich. Lässt mich rasen wie einen Berserker. Glaubt sie wirklich, dass ich mich wie ein dummes Schaf zum Schlachten führen lasse?
    Ich halte das Lenkrad mit beiden Händen kräftig fest. Nehme den rechten Fuß von der Bremse. Und trete das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Ein Silberpfeil soll angeblich von null auf hundert in nur ein paar Sekunden beschleunigen. Wenn der Hersteller nicht lügt.
    Die aufheulenden Reifen wirbeln Gras, Erde und Steine auf. Der Benz sprintet in den Schuppen. Das durchdringende Krachen geht einem durch Mark und Bein, als mein Silberpfeil durch die gegenüberliegende Wand bricht. Das Auto zerbricht die Holzlatten, als würde es sich um unbedeutende Zahnstocher handeln. Und düst weiter auf eine ungepflegte Wiese. Jódís fliegt im Beifahrersitz vor und zurück. Aber schließlich gelingt es ihr, sich mit der rechten Hand am Griff in der Autotür festzuhalten. Sie versucht immer wieder mit der linken Hand, nach dem Schalthebel zu greifen.
    Nein! Kommt überhaupt nicht in Frage!
    Ich werfe ganz schnell das Steuer herum und fahre eine enge Linkskurve. Ohne den Fuß vom Gas zu nehmen.
    Während der Benz die enge U-Kurve nimmt, wird Jódís mit voller Wucht auf die Beifahrertür geworfen.
    Ich fahre wieder geradeaus. Gebe wieder Gas. Und mache eine Vollbremsung.
    Jódís knallt kräftig gegen die Windschutzscheibe.
    »Na, macht dir das nicht Spaß?«, brülle ich.
    Sie legt sich die Hände vors Gesicht. Scheint von den Stößen an den Kopf etwas angeschlagen zu sein.
    Aber offensichtlich noch nicht genug.
    »Alles klar, ich fange gerade erst an!«, rufe ich und trete das Gas wieder durch.
    Der Silberpfeil saust wieder los.
    Ich wiederhole das Spiel ein paar Mal: Wechsle unvorbereitete Linkskurven mit Vollbremsungen ab.
    Mittlerweile rinnt das Blut aus Jódís’ Gesicht. Trotzdem wird sie nicht bewusstlos. Sie braucht mehr. Noch mehr. Also weiter!
    Plötzlich sehe ich die Einfahrt im flackernden Licht der Scheinwerfer.
    Der Weg in die Freiheit!
    Ich zögere nicht einen Augenblick. Rausche mit hohem Tempo an Drífa vorbei, die wie eine Statue vor dem Jeep steht. Erwische gerade so den engen Weg. Drossele das Tempo des Benz in der Kurve. Aber gebe wieder anständig Gas, als mein Silberpfeil auf die Rollsplittstraße kommt.
    »Reykjavik – here I come!«
    Jódís liegt zusammengesunken auf dem Beifahrersitz. Ist sie nach dieser Rosskur endlich außer Gefecht gesetzt?
    Hoffentlich.
    Dann sollte ich auf der ganzen Strecke in die Stadt von ihr unbehelligt bleiben. Ich gucke in den Rückspiegel. Ich sehe nirgendwo Scheinwerfer hinter mir. Drífa traut sich nicht, uns zu folgen.
    Der Silberpfeil flitzt mit überhöhter Geschwindigkeit über den
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