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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
Autoren: Sergej Lukianenko
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besprochen!«, kam es aus der Küche von Vika zurück.
    »Also … Kartoffeln?«, rief ich. »Gemüse, Tomaten … Gurken …«
    »Richtig geraten. Und? Fällt dir vielleicht noch was ein?«
    »Huhn?«, ließ ich einen Versuchsballon starten.
    »Ich taue das Fleisch schon auf. Um Hacksteaks zu machen. Bring Pflanzenöl mit, unsers ist fast alle. Und dann … aber das ist eh klar.«
    »Willst du heute Wodka trinken?«
    Manchmal machte Vika das. Wenn sie in Stimmung war.
    »Nein, wahrscheinlich nicht«, antwortete sie nach kurzer Überlegung. »Bring für mich eine Flasche trockenen Wein mit. Oder Bier.«
    »Was ist dir lieber?«
    »Egal. Aber beeil dich, ja?«
    Mist! Der Abend fing nicht gut an. Gesten hatten wir darüber gesprochen, wann die Gäste kommen und was ich kochen sollte, während Vika arbeitete. Doch heute hatte ich mir den Helm aufgesetzt – und war abgetaucht.
    Und hatte unser Gespräch vergessen. Völlig.
    Es war ziemlich kalt. Graues, nasses und ungemütliches Wetter. Wir hatten zwar noch keinen Frost, auch die Blätter an den Bäumen waren noch grün, aber die beißende Herbstfeuchtigkeit hing bereits in der Luft. Sie stürzte sich auf mich, sobald ich einen Fuß vor die Tür setzte, kroch mir unters Sweatshirt und ließ mich frösteln.
    Vor zwei Jahren hatte Vika mich ohne große Mühe davon überzeugt, dass im Vergleich zu dem miesen Petersburger Wetter in Moskau fast tropisches Klima herrschte. Abgesehen davon war ich selbst nie ein großer Fan des Klimas in der nördlichen Hauptstadt gewesen. Doch ehrlich gesagt wartete ich auch hier, in Moskau, vergeblich auf den legendären Goldenen Herbst.
    Aber vermutlich war in der Himmlischen Verwaltung endgültig das Chaos ausgebrochen: ein total verregneter Sommer, ein trüber Herbst – und wie es aussah ein früher Winter.
    Ein alter Witz fiel mir ein: Wie gefällt dir der russische Winter? Wenn er grün ist, ganz gut. Aber wenn er weiß ist …
    Mit einer leeren Tüte bewaffnet, stürmte ich in den Laden um die Ecke. Also: Kartoffeln, Tomaten, Mohrrüben … Oder doch keine Mohrrüben? Gut, nehmen wir sie lieber mit, vergammeln werden sie schon nicht.
    Natürlich gab es beim Gemüse eine kleine Schlange, schließlich kamen normale Menschen gerade von der Arbeit. Ich stellte mich hinter eine Frau, die trotz Brille ziemlich gut aussah. Sie las ein Buch, Ada für Anfänger . Ob sie am Ende auch in die Tiefe ging? Um sich als Möbelpackerin oder Postbotin etwas dazuzuverdienen …
    Eine Frau in der realen Welt anzuquatschen, das gehört sich nicht. Vor allem dann nicht, wenn zu Hause eine geliebte Ehefrau wartet. Nur die virtuelle Welt verzeiht solche Abenteuer.
    Abgesehen davon wäre es ziemlich dämlich, eine Frau in einer Schlange für Kartoffeln anzuquatschen.
    »Zwei Zitronen«, verlangte sie.
    Ich erwischte mich dabei, wie ich sie mit einer Neugier musterte, die überhaupt nicht angemessen war. Und dass mir ihr Einkauf gefiel. Diese Frau musste einfach zwei knallgelbe Zitronen kaufen! Zwei Kilo erdverkrusteter Kartoffeln und ein Kohlkopf – das wäre auf gar keinen Fall gegangen. Jetzt stellte ich mir vor, wie sie in einem Sessel saß, zu dem als unabdingbares Attribut eine Stehlampe gehörte, wie sie Tee mit Zitrone trank und las – und zwar kein Lehrbuch, sondern einen guten Roman. Ein richtig gutes Buch, keine Schundliteratur.
    Oder wie die Frau die Zitronen in Scheiben schnitt, sie mit Zucker und gemahlenem Kaffee bestreute, in kleine Schwenker Kognak einschenkte und wartete. Auf einen Mann. Auf mich zum Beispiel.
    »Was darf’s sein?«
    Und aus war mein Traum.
    Der Verkäufer sah mich fragend an. Er war eine komische Erscheinung, ein typischer Vertreter der Intelligenzija, der noch zu Sowjetzeiten im Gemüseladen gelandet war und dort seine Erfüllung gefunden hatte.
    »Zwei Zitronen«, sagte ich völlig geistesabwesend.
    Die Frau stand noch in der Nähe und stopfte die Zitronen in die Taschen ihrer Jacke.
    »Und sonst?« Die Zitronen hüpften auf der Waage, von dort aus flogen sie in meine Tüte.
    »Drei Kilo Kartoffeln. Und ein Kilo Paradeiser.«
    Was sollte das jetzt schon wieder? Welcher Teufel ritt mich, Tomaten Paradeiser zu nennen? Wollte ich mich hier unbedingt lächerlich machen?!
    »Darf es vielleicht auch noch eine andere Wurzelfrucht sein? Oder vielleicht etwas von den Kreuzblütlern? Auch Nachtschattengewächse hätten wir.«
    Der Verkäufer behielt seine freundliche und aufgeschlossene Miene bei.
    »Das gibt eine Eins in Bio«,
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