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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel
Autoren: Polina Daschkowa
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damit er keine überflüssigen Fragen stellte.
    »Außerdem hattest du Pediculose. Läuse. Und Ausschlag natürlich. Wie ein typischer Obdachloser. Und so mager warst du, mein
     Gott! Man hätte dich glatt als anatomisches Anschauungsexemplar benutzen können.«
    Er diktierte Katja die Telefonnummer seiner Mutter und bat sie, in Moskau anzurufen. Sie antwortete mit einem stummen Kopfnicken.
     Als er sie am nächsten Tag fragte, ob sie angerufen habe, erklärte sie, ohne ihn anzusehen, sie habe es versucht, aber es
     sei niemand rangegangen.
    »Dann schick ein Telegramm. Ich diktiere dir die Adresse.«
    »Wie denn, Herrgott! Wir sind hier mitten im Wald.« Sie errötete und verzog das Gesicht zu einem qualvollen falschen Lächeln.
     »Die nächste Post ist in Taldom, fünfzig Kilometer von hier.«
    »Du bist eine schlechte Lügnerin«, flüsterte er.
    »Was?« Katja wurde flammend rot.
    »Nichts … Fünfzig Kilometer, sagst du? Aber das hier ist schließlich keine Wüste.«
    »Nein, das nicht. Aber ein geheimes Objekt.« Katja wandte sich beleidigt ab.
    »Schon gut, sei nicht sauer. Ich habe verstanden. Aber du lebst schließlich nicht das ganze Jahr hier, du fährst doch ab und
     zu mal nach Taldom und nach Moskau.«
    »Nur im Urlaub. Den hab ich im August, und jetzt ist Februar.«
    »Katjuscha, hilf mir bitte, du hast doch auch eine Mutter.« Er griff nach ihrer Hand, aber sie stand abrupt auf und ging hinaus.
    Zehn Minuten später kam Awanessow, untersuchte wortlos Loginows Beine, hob seine Pyjamajacke an, fuhr ihm lange mit dem kalten
     Stethoskop über die Brust, runzelte die Stirn und murmelte vor sich hin: »Gut, gut.« Dann zog er die Decke glatt und sagte
     ärgerlich: »Warum belästigst du das Mädchen mit dummen Fragen? Sie kann deine Mutter nicht anrufen. Sie darf nicht, verstehst
     du?«
    »Nein.«
    »Dieses Hospital gehört zu einem Rehabilitations- und Ausbildungszentrum des Föderalen Sicherheitsdienstes. Ein hochgeheimes
     Objekt. Wir dürfen niemandem Auskünfte erteilen über unsere Verwundeten.«
    »Wieso FSB?«, zischte er, ohne auf eine Antwort zu hoffen.
    »Das hat sich so ergeben. Unsere Sondertruppen haben dich aufgelesen. Sie haben dich in ein Militärflugzeug gepackt, in Folie
     gewickelt wie einen Leichnam. Na, und bei der Landung hast du plötzlich gestöhnt, vielleicht hast du einen Stoss abgekriegt,
     oder du bist durch den Druckabfall zu dir gekommen, jedenfalls, der Tote war plötzlich lebendig.« Awanessow lachte.
    »Weiß meine Mutter, dass ich lebe?«
    »Noch nicht.« Awanessow schüttelte den Kopf. »Sie wurde offiziell benachrichtigt, dass du verschollen bist. Aber vergiss nicht,
     eine Mutter spürt solche Dinge. Sie hat so lange gewartet, wartet sie eben noch eine Weile. Es muss sein. Warum, weshalb –
     keine Ahnung. Ich kann nur eines sagen: Dass du lebst, weiß überhaupt niemand. Lieg still und mach keine Wellen, du dummer
     Kerl, freu dich, dass du atmest, dass du wieder gehen wirst und sogar laufen, und stell keine Fragen mehr, verstanden?«
    »Nein.«
    »Dann vertrau mir einfach. Betrachte es als Befehl. Was bist du? Major, ja? Und ich bin Oberst des medizinischenDienstes. Also, ich befehle dir, dich am Leben zu freuen und keine Fragen zu stellen, nicht einmal nach deiner Mutter. Entschuldige,
     mein Lieber. Hab ein wenig Geduld.«

Drittes Kapitel
    Die außerplanmäßige Sitzung des Vorstands der Privatbank »Triumph« fand nicht wie üblich im Konferenzsaal statt, sondern im
     gemütlichen, geräumigen Büro des Vorsitzenden. Die gesamte Vorstandsspitze war versammelt, insgesamt dreizehn Personen. Es
     ging um die Strategie der Bank angesichts der überraschenden letzten Ereignisse. Gleich fünf hohe Staatsbeamte, Ehrenkunden
     und Förderer der Bank, die ihr eine Vielzahl legaler und illegaler Dienste erwiesen hatten, waren von ihrem Posten geflogen.
     Drei waren in den Ruhestand gegangen, gegen zwei liefen Strafverfahren wegen Korruption und Amtsmissbrauchs.
    Der Vorsitzende Wladimir Gerassimow, ein hochgewachsener dicker Glatzkopf mit ungesund aufgedunsenem Gesicht, sprach besorgt,
     abgehackt, heiser keuchend.
    »Wir sind alle erwachsen und wissen, dass das Problem Korruption in diesem Fall nicht einmal an zweiter, sondern erst an zehnter
     Stelle steht. Das Wichtigste ist jetzt, zumindest für uns, die bevorstehende grundlegende Erneuerung der mittleren Leitungsebene
     und die Zusammenlegung des Ressorts für die Zulassung von Bankgeschäften und
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