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Der Fall von Thormain

Der Fall von Thormain

Titel: Der Fall von Thormain
Autoren: Ernst Vlcek
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aus Mythor geworden war und ob sie sich je beim Waffenversteck wiederfinden würden.
    *
    Mythor war, als blicke er durch ein Fenster in eine andere, paradiesische Welt, in eine Welt der Tiere. Doch sah er weder eine Landschaft noch verschiedene Tierarten. Er erahnte sie nur.
    Er sah überhaupt nur ein einziges Tier. Es war ein schönes, edles Pferd mit schwarzem Fell, das wie Samt schimmerte. Auf der Stirn hatte dieses Pferd ein weißes Horn von Unterarmlänge. Ein Einhorn!
    Es kam auf Mythor zugetrabt, ohne sich jedoch wirklich zu nähern oder sich zu vergrößern. Es schien auf der Stelle zu laufen. Jetzt wandte es sich mit majestätischem Kopfnicken nach links und trabte in diese Richtung weiter, ohne aus dem Blick zu verschwinden. Es bewegte sich im Laufen nicht vom Fleck.
    Nun machte es eine ganze Kehrtwendung, wobei seine Mähne wie im Wind wehte, und schien auf die andere Seite zu laufen. Mythor genoss jede einzelne Bewegung dieses prächtigen Tieres. Er hatte noch nie zuvor ein Einhorn gesehen, und dennoch hatte er sofort das Gefühl, dieses Tier schon ewig zu kennen. Wie kam das? Lag die Antwort irgendwo in seiner dunklen Vergangenheit?
    Er erkannte enttäuscht, dass das Bild verblasste. Er dachte sich, dass er das Einhorn zurückholen könne, wenn er nur ganz fest daran denke. Aber es half alles nichts, das Tier zeigte sich nicht wieder. Er hatte sogar den Eindruck, dass das Leuchten dieses rechten Augensteins schwächer wurde.
    Dafür erregte nun das linke Auge seine Aufmerksamkeit, und er sah dorthin. Dort war eine flatternde Bewegung. Aus dem nebligen Licht tauchten Flügel auf. Es waren weite Schwingen, die kraftvoll die Lüfte durchschnitten. Ein großer weißer Vogel, ein Falke.
    Ein Schneefalke!
    Mythor wusste sofort, welcher Art er angehörte, obwohl er auch ein solches Tier noch nie gesehen hatte und es ihm auch nicht beschrieben worden war. Und auf den Schneefalken traf dasselbe wie auf das Einhorn zu - er erschien ihm vertraut. Er fühlte sich mit dem weißgefiederten Falken verbunden wie mit einem uralten Gefährten, der ihn lange Zeit durch die Höhen und Tiefen des Lebens begleitet hatte. Und wieder fragte er sich, in welcher Beziehung er zu diesem Tier stand. Oder - auch das war eine Möglichkeit - handelte es sich nur um eine Vorschau auf Kommendes?
    Während der Schneefalke seine Kreise durch das leuchtende Nichts zog, tauchte vom Grunde des Auges ein dunkler Punkt auf. Er wurde größer und entpuppte sich als dickfelliges Tier, das auf vier Beinen heranhetzte.
    Und Mythor erkannte einen großen Wolf, dessen Fell grauschwarz war. Seine Bewegungen waren geschmeidig. Er hielt im Laufen den Kopf etwas gesenkt, den buschigen Schweif steif nach hinten, und er blickte Mythor geradewegs an. Aus seinen Augen sprach Klugheit und noch etwas, das Mythor sofort Vertrauen zu ihm fassen ließ.
    Ein alter Freund? Vielleicht ein Bitterwolf, wie er geheult hatte, als die Marn ihn fanden?
    Einhorn, Schneefalke und Bitterwolf!
    Die Bilder lösten sich auf, Mythor sah nur noch einen funkelnden Stein vor sich, der eine Augenhöhle der Dämonenfratze schmückte.
    Die Bilder waren verschwunden, und er konnte sie nicht mehr zurückholen. Aber ihr Nachhall blieb in seinem Geist erhalten. Er war nun sicher, dass es diese drei Tiere irgendwo auf der Welt in Wirklichkeit gab. Sie lebten und warteten darauf, dass er zu ihnen fand. Daran konnte es keinen Zweifel geben.
    Aber wo sollte er nach ihnen suchen? Würde der Helm der Gerechten ihm den Weg zu ihnen weisen? Oder hatten ihm die Tiere selbst, während er sie in lebensechten Bildern geschaut hatte, ein Zeichen gegeben?
    Wenn dem so war, dann konnte er diese Zeichen nicht deuten. Er war jedoch sicher, dass Einhorn, Schneefalke und Bitterwolf in engem Zusammenhang mit einem der Fixpunkte des Lichtboten standen. Der thormainische Brunnen war kein solcher, Mythor hatte soeben sein Geheimnis ergründet.
    Nun erlosch das Licht in den steinernen Augenhöhlen endgültig. Mythor fasste seinen Mondstein, den ihm Royna überlassen hatte, fester. In seinem Schein wirkte die Fratze im Himmelsstein auf einmal wieder bösartig.
    Mythor wich zurück und kletterte, so schnell er konnte, die Terrassenstufen hinunter. Er fragte sich, ob jedem, der bis hierher vordrang, ein solches Erlebnis beschieden war wie ihm oder ob dieses Vorrecht nur ein Auserwählter hatte. Er wollte sich nicht zu viel darauf einbilden. Aber wie dem auch war, er wusste, wie diese Bilder zu deuten waren.
    Für
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