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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius
Autoren: Jakob Wassermann
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nervös über den Kinnbart. »Du hast dich den Nachforschungen mit anerkennenswertem Geschick entzogen«, bemerkte er in die Luft hinein. – »Na, wenn ich nicht mal das gekonnt hätte . . .«, sagte Etzel und hob die Brauen. Herr von Andergast fand den Ton unverschämt und räusperte sich warnend. »Nun, und?« fragte er mit einem Beiklang von Hohn, der die Furcht bemänteln sollte, »und? nothing succeeds like success, sagen die Amerikaner.« – »Ich weiß, ich habe mittlerweile ein bißchen Englisch gelernt«, ließ Etzel einfließen und hatte ein kaustisches Lächeln dabei, das das Mißfallen seines Vaters noch steigerte; »also ja«, raffte er sich zusammen, den Kopf energisch hebend, »der Maurizius ist unschuldig. Total. Unschuldig verurteilt. Justizmord.« – Herr von Andergast zuckte kaum wahrnehmbar zurück. Er betrachtete seine Fingernägel. Die Hände »spielen«. Er erwidert mit der Frostigkeit, die Etzel immer als Mittagstischkälte bezeichnet hat: »So was ist leicht behauptet. Schwerer dürfte der Beweis zu führen sein.« – »Könnt ich's nicht beweisen, so säß ich nicht hier.« – Überraschter Blick vom Schreibsessel her. Darauf gleitet der Blick zu Boden, wie von einem unvermutet starken Gegner in die Flucht gejagt. Es ist etwas in der Miene des Buben, dem schwer standzuhalten ist: die Flamme der Gewißheit. »Ein großes Wort«, spottet Herr von Andergast steif. – »Waremme hat einen Meineid geschworen«, fährt Etzel entschlossen fort, »ich hab's herausgekriegt. Ich hab ihn gefunden. Er heißt nicht mehr Gregor Waremme. Er heißt Georg Warschauer. Das ist sein ursprünglicher Name. Er lebt in Berlin. Ich war sieben Wochen lang beinah Tag für Tag mit ihm beisammen. Ich will nicht sagen, daß wir uns angefreundet haben. Ich kann darüber nicht reden. Es war . . . aber das ist ja auch egal. Das Wichtige ist, daß er mir den Meineid gestanden hat. Wenn du wissen willst, wieso, kann ich dir's gelegentlich mal erzählen. Leicht war's nicht. Das darfst du getrost glauben. Aus den Eingeweiden hab ich ihm das Geständnis gerissen. Und ein Zeuge ist auch da. Vielmehr eine Zeugin. Von der weiß er nichts, aber mir ist sie sicher. Gott sei Dank.« Ein lauernder Nachdruck liegt in dem knappen Bericht, das Auge blickt fest auf den Zuhörer, die Miene ist gespannt. Herr von Andergast wippt leise mit dem rechten, übergeschlagenen Bein und starrt auf die Stiefelspitze. Er befindet sich in Violet Winstons Schlafzimmer und schaut in den Spiegel. Der Spiegel zeigt ihm eine Art von David, der auf der flachen Hand eines Goliath steht und mit der Blendlaterne das schaurig schneckengleiche Gehirn durchleuchtet. Das düstere Staunen von damals mischt sich mit dem gegenwärtigen. Er späht hinüber: der Mensch mit der Flamme der Gewißheit. Er hört die peremptorische Frage (als ob eine Stahlklinge durch die Luft sauste): »Was muß man also daraufhin tun?« – Und er antwortet, steinern kalt: »Nichts.« – Etzel schnellt in die Höhe: »Wie . . . nichts –?« – »Nichts muß man tun. Nichts ist zu tun.« – Etzel kann nicht verhindern, daß er den Mund aufsperrt wie ein Idiot. Er lallt etwas. Hat der Vater den Verstand verloren? – »Jede Aktion erübrigt sich. Der Sträfling Maurizius ist begnadigt.« – Etzel, mit Augen wie Mühlräder: »Begnadigt? Be–gna–digt –?« – Schlaffes Nicken drüben. »Durch Gnadenerlaß der weiteren Strafhaft entbunden.« – Etzel muß lachen. Er weiß, es ist respektlos, doch er kann sich nicht helfen, er muß lachen. »Gnadenerlaß . . . aber ich sage dir doch, er ist unschuldig.« – Ein müder Seufzer des Belästigten. »Der Gnadenerlaß beinhaltet diese Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit.« – Tönerne Phrase. Etzel vergißt sich, vergißt die anerzogene Ehrfurcht, er schreit auf: »Wenn er unschuldig ist, braucht er doch die Gnade nicht!« – »Die Unschuld steht nicht mehr zur Debatte«, kommt es scharf zurück, »benimm dich übrigens.« – Etzel erinnert sich seiner guten Erziehung, die er bei Waremme sträflich vernachlässigt hat, wenigstens für kurze Dauer ist die Disziplin stärker als die Empörung. »Ja . . . verzeih . . .«, stottert er, »aber wieso steht die Unschuld nicht mehr zur Debatte, wieso, bitte?« Und er macht desperate, kleine Schulterbewegungen, als wolle er eine unsichtbare Kette zerreißen. – Herr von Andergast läßt sich zu einer Auseinandersetzung herab: »Ich will annehmen, er sei wirklich unschuldig. Ich will es
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