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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge
Autoren: Èmile Gabroriau
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»rang ich mich dazu durch, die Ungewißheit zu beenden. Ich war verzweifelt wie ein Hasardeur, der sein letztes Geldstück setzt. Mit der Droschke fuhr ich zum Hotel de Commarin, Faubourg St-Germain.«
    Tabaret begann ungeduldig zu werden.
    Â»Der Wohnsitz des Grafen ist ein Schloß«, schwärmte Noël. »Der Hof wird von Stallungen flankiert und vom Wohntrakt nach hinten begrenzt. Die Fassade ragt überwältigend mit einem reichgeschmückten Giebel empor, und eine marmorne Freitreppe führt zum Eingang empor. An das Gebäude schließt sich ein großer Park an, in dem Sie die vielleicht ältesten Bäume von ganz Paris finden.«
    Die Schwärmerei nervte Tabaret, doch unterbrach er Noël nicht, weil er befürchtete, seine Verbindung mit der Polizei zu verraten.
    Â»Können Sie sich vorstellen, was ich fühlte vor dem Haus meiner Ahnen? Hier bist du geboren, sagte ich mir, hier hättest du deine Kindheit und Jugend verbringen sollen, und hier müßtest du heute der Herr sein! Aber ich stand als Fremder vor all der Pracht! Und mir fiel mein Leben voller Arbeit ein, und ich verglich es mit dem Dasein in Pracht und Müßigkeit, das mein Stiefbruder führte. Fast wäre ich ins Haus gestürmt und hätte den Bastard einfach hinausgeworfen, diesen Sohn von Madame Gerdy. Ich beherrschte mich, ließ mich vielmehr durch einen Diener beim Grafen Commarin anmelden. Der Mann in prächtiger Livree antwortete, der Graf sei verreist; wenn ich aber seinen Sohn zu sprechen wünschte, der sei zu Hause. Ursprünglich hatte ich nichts dergleichen im Sinn. Doch da man mir nun einmal das Angebot machte, beschloß ich, den Sohn statt des Vaters zu besuchen.«
    Â»Haben Sie ihn gesehen?« fragte Vater Tabaret, nun wieder voller Spannung.
    Â»Der Diener überließ mich einem zweiten, der wie ein Jäger gekleidet war und einen Federhut trug. Der führte mich in ein kostbar ausgestattetes Vestibül, wo mich ein dritter Lakai in Empfang nahm, der mich über eine breite Treppe und durch eine Bildergalerie bis in einen Saal geleitete. Dort wurde ich dem Kammerdiener des Herrn Albert de Commarin überantwortet. Albert, das ist der Mann, der meinen Namen trägt. Der Kammerdiener wollte von mir alles wissen, was es an Wissenswertem gibt: Adresse, Beruf und so weiter. Ich erklärte ihm, der Graf kenne mich nicht, ich müsse ihn dennoch in einer wichtigen Angelegenheit sprechen. Nach mehr als einer Viertelstunde kam er zurück und meldete, Monsieur geruhe, mich zu empfangen.«
    Der Zorn über diese Art des Empfangs stand Noël im Gesicht geschrieben. Tabaret wunderte sich, wieso sich sein sonst so gelassener Freund von den Unverschämtheiten einer Lakaienschaft ins Bockshorn jagen ließ.
    Â»Es ist wahrscheinlich etwas dran an der Behauptung«, sagte er, »daß das Volk die Aristokraten auch auf Grund der Arroganz der Lakaien haßt.«
    Â»Ich wurde in ein Zimmer geführt, das einem Arsenal glich. Waffen aus allen Gegenden und Zeiten waren hier zusammengetragen.«
    Unter ihnen die Waffe, mit der Madame Lerouge ermordet wurde, dachte Tabaret unwillkürlich.
    Â»Der Graf«, fuhr der Anwalt fort, »lümmelte auf einem Diwan, in samtener Jacke und Hose und einen sehr weißen, seidenen Schal um den Hals. Da ich keinen Groll gegen den Mann empfinde, da er schließlich mit dem Verbrechen seines Vaters nichts zu tun hat, kann ich ihn auch richtig einschätzen. Vom Äußeren her macht er dem Namen, der ihm nicht zusteht, keine Schande. Er ist ungefähr so groß wie ich, und ohne Bart würde er mir sogar ähneln. Nur, daß er jünger aussieht, mindestens um fünf Jahre ... Schließlich hat er sein Leben lang nicht arbeiten müssen. Er stand auf und begrüßte mich mit Herablassung.«
    Â»Waren Sie aufgeregt?«
    Â»Kaum. Jedenfalls weniger als jetzt. Ich hatte mich zwei Wochen lang auf diese Begegnung gefaßt machen können. Ehe er noch fragen konnte, sagte ich: ›Daß Sie mich nicht kennen, tut nichts zur Sache. Ich bin in einer ernsten Angelegenheit zu Ihnen gekommen, die Ihren Ruf und die Ehre des Namens, den Sie tragen, angeht.‹ Er nahm mich wohl nicht ganz ernst, denn er fragte frech und kalt: ›Dauert es lange?‹ Ich blieb auch kalt und antwortete: ›Ja.‹«
    Â»Ich bin an allen Einzelheiten interessiert«, warf Vater Tabaret ein, »sie könnten
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