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Der Fall Collini

Der Fall Collini

Titel: Der Fall Collini
Autoren: Ferdinand von Schirach
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Arbeitszimmer.
    Eine halbe Stunde später ließ er sich von seinem Fahrer in die Kanzlei bringen. Unterwegs rief er einen seiner angestellten jungen Anwälte an und bat ihn, ins Büro zu kommen. Mattinger hatte schon in den Siebzigerjahren in den Terroristenprozessen in Stammheim verteidigt, seine Auftritte vor Gericht waren Medienereignisse gewesen. Ein Wochenmagazin hatte einmal über ihn geschrieben, er besäße eine »fast schon leuchtende Intelligenz«. Damals wurde im Gerichtssaal – vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Strafprozessordnung – um die Rechte der Angeklagten wirklich gekämpft. Zu Beginn der Studentenrevolten glaubten viele, die Demokratie sei in Gefahr, Terroristen galten in ersterLinie als Staatsfeinde. Noch vor dem Urteil in dem damals größten Prozess wurde ein Gefängnis für die Angeklagten gebaut. Gesetze wurden wegen dieser Prozesse geändert, Verteidiger schrien die Richter an, Angeklagte traten in den Hungerstreik, und der Vorsitzende musste aus dem größten Verfahren ausscheiden, weil er befangen war. Vor Gericht herrschte Krieg. Die Verteidiger lernten dazu, sie wurden selbstbewusster und verstanden besser als jemals zuvor, dass Gerechtigkeit nur durch ein faires Verfahren entstehen kann. Für manche von ihnen war es zu viel. Sie machten sich gemein mit ihren Mandanten, übertraten die Grenze und wurden selbst zu Straftätern. Tragödien aus Zorn. Mattinger war anders. Die Öffentlichkeit dachte, er habe den Terroristen seine Stimme geliehen, klarer und wirkungsvoller als deren eigene. Aber das stimmte nicht. Natürlich war er ein paarmal auf Demonstrationen gewesen und hatte die Wortführer der Studenten kennengelernt, aber ihn hatte erschreckt, wie sie sich an ihren Reden berauschten. In Wirklichkeit vertrat Mattinger nur das Recht, er glaubte an den Rechtsstaat.
    Seitdem hatte er in fast zweitausend Verfahren verteidigt. Er hatte noch nie einen Mordprozess verloren, keiner seiner Mandanten war zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Aber mit der Zeit änderte sich seine Klientel. Zuerst kamendie Spekulanten und Bauunternehmer, dann die Bankiers, die Vorstände und die alten Familien. Schon lange hatte er keinen Drogendealer, Unterweltsboss oder Mörder mehr verteidigt. Er schrieb jetzt Aufsätze in juristischen Zeitungen, war Vorsitzender einer Reihe von juristischen Vereinigungen, Mitherausgeber des ältesten strafrechtlichen Kommentars und hatte eine Gastprofessur an der Humboldt-Universität. Alles um ihn herum war feiner geworden. Seine Auftritte im Gericht wurden selten, die meisten Verfahren gegen seine Mandanten stellte die Staatsanwaltschaft gegen hohe Zahlungen und ohne Hauptverhandlung ein. Mattinger glaubte immer noch an den Rechtsstaat, aber die Schlachten schienen geschlagen. Manchmal, wenn er nachts auf einem Flughafen festsaß, dachte er, ihm sei etwas abhandengekommen. Aber er wollte nicht darüber nachdenken, was es war.
    Als er in der Kanzlei eintraf, hatte er bereits mit der Mordkommission telefoniert. Natürlich kannte er den leitenden Beamten und bekam genügend Informationen, um sich ein ungefähres Bild zu machen. Zwei Stunden später hatte er den Justiziar der Meyer-Werke, Holger Baumann, am Telefon. Mattinger und der junge Anwalt aus seiner Kanzlei saßen zusammen in einem der großen Besprechungszimmer und redeten mit Baumann über die Freisprechanlage.Der Justiziar sagte, der Konzern beschäftige weltweit über vierzigtausend Mitarbeiter, die Ergebnisse lägen jedes Jahr fast vier Prozent über dem Branchendurchschnitt und das Unternehmen stünde vor dem größten Abschluss in seiner Geschichte. Der Mord an Hans Meyer, dem früheren Vorstandsvorsitzenden und Haupteigentümer, sei eine Katastrophe. Die Firma solle nicht in der Presse stehen. Baumann sprach über das Bestechungsverfahren eines Tochterunternehmens vor einigen Jahren, in dem Mattinger einen führenden Mitarbeiter vertreten hatte. Es habe damals unangenehme Artikel in den Zeitungen gegeben. Baumann hörte sich nervös an. Mattinger erinnerte sich, dass er ihn nicht mochte.
    In der Firma, sagte Baumann weiter, habe niemand eine Ahnung, warum Meyer getötet worden sei. Der Alte sei zwar immer noch Aufsichtsratsvorsitzender gewesen, aber die Tat stünde sicher nicht in Zusammenhang mit dem Konzern. Mattinger wunderte sich. Das Verbrechen war erst ein paar Stunden alt, und Baumann konnte das jetzt schon sicher sagen.
    Der Vorstand wolle, dass Mattinger die Firma
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