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Der Falke von Aryn

Der Falke von Aryn

Titel: Der Falke von Aryn
Autoren: Richard Schwartz
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lag und die Ebbe verpasst hatte, der blieb auch über Nacht. Während die Kontore und Lagerhäuser ihre Tore schlossen und sich, meist gut bewacht, auf die Nacht einrichteten, erwachte die Schiefe Bank zum Leben. Mit dem Löschen der Ladung wurden die Kapitäne ausgezahlt, und die wiederum zahlten ihren Leuten die Heuer aus, Lohn für oftmals lange Wochen harter Arbeit und Entbehrungen auf See. Wehe dem Kapitän, der versuchen würde, seine Mannschaft vom ersehnten Landgang abzuhalten, denn auf der Schiefen Bank fand sich alles, was man auf See vermisst hatte. Ob Wein, Bier, Rum oder Schnaps, solange noch ein Kupfer von der Heuer übrig war, vermochte man hier seinen Durst zu löschen, und wem das nicht reichte, der fand andere Vergnügungen, meist in den roten Häusern oder auch davor und überall im Viertel, wo Huren versprachen, den Seeleuten den Weg zum Paradies zu zeigen. Im Lauf der Nacht torkelten oder krochen sie dann wieder zurück auf ihre Schiffe, mit leeren Taschen, pochenden Schädeln und meist um eine Erfahrung oder ein paar Beulen reicher. Ihr Schiff lief aus … und ein anderes nahm seine Stelle ein. Fast jede Nacht blieb dabei irgendjemand auf der Strecke, wurde vom Hafen aufgefressen und später wieder ausgespuckt oder aus dem dunklen Wasser gezogen …
    Lorentha kannte dieses Spiel und diesen Hafen, war so oft von ihm fast aufgefressen worden, dass es ein Wunder war, dass sie noch lebte.
    Entschlossen wandte sie den bunten Laternen den Rücken zu und sah zu der Anlegestelle hin, die nun, da das Lotsenboot das angeschlagene Schiff um einen großen Kahn herumgezogen hatte, auch für sie frei einsehbar war. Hier, im Südteil des Hafens, war es ruhiger, die meisten der Anlegestellen lagen hinter gut bewachten Toren, den reichsten Händlern vorbehalten, oder, wie in diesem Falle, der Marine des Kaiserreichs. Vier Liegeplätze gab es dort, drei davon besetzt, zwei davon von einem Linienschiff, das wie ein Riese unter Zwergen wirkte, mit vier Masten und vierundfünfzig Kanonen, eine Demonstration kaiserlicher Macht, die etwas an Wirkung verlor, kam man, wie sie jetzt, nahe genug heran und konnte nur zu gut sehen, wo die Farbe Risse hatte oder die Takelage zu verrotten begann. Vielleicht, dachte die Majorin, war es sogar dasselbe Schiff, das schon damals hier verrottet war, für den Fall war es allerdings ein Wunder, dass es noch immer schwamm.
    Auf der anderen Seite löste gerade ein anderes Schiff die Leinen, ebenfalls ein Kurier, mit schmalen Flanken und einem scharfen Bug, ein Schwesternschiff der Morgenbrise , nur dass die Morgentau – Lorentha schüttelte verständnislos den Kopf, wer kam nur auf solche Namen? – noch beide Masten besaß. Dahinter lag das kaiserliche Trockendock, später würde man dort versuchen, ihrem Schiff einen neuen Mast zu geben, doch für jetzt blieb nur eine Liegestelle übrig.
    Wie es aussah, erwartete man das Schiff schon sehnlichst. Ein schwerer Kastenwagen und ein Kontingent von zehn Marinesoldaten standen bereit, einmal alle drei Monate brachte eins dieser Schiffe den kaiserlichen Sold, und diesmal war es ihr Schiff gewesen.
    Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie und Raban von dem Dach dort hinten aus mit brennenden Augen zugesehen hatten, wie die schweren Kisten verladen wurden und davon träumten, einen Weg zu finden, die fränkischen Soldaten um ihren Sold zu erleichtern. Vielleicht sollte sie mal nachfragen, ob es jemals jemandem gelungen war, dachte Lorentha mit grimmiger Erheiterung, sie hatte ihren Zweifel daran.
    Die beiden anderen Wagen waren für die Post bestimmt, die säckeweise den Laderaum der Morgenbrise füllte, doch bei dem Anblick der schwarz lackierten Kutsche mit dem kaiserlichen Wappen an dem Schlag krampfte sich ihr Magen nur noch mehr zusammen. Mit der Kutsche wartete ein livrierter Diener, dessen goldene Livree keinen Zweifel daran ließ, dass er in den Diensten des Gouverneurs stand, und noch bevor die ersten Leinen an Land geworfen wurden, konnte sie bereits den gesiegelten Umschlag erkennen, den der Mann in Händen hielt.
    So viel also zu der Ruhe, die sie sich hatte gönnen sollen.
    »Nehmt Euch eine Auszeit, Lorentha«, hatte Oberst von Leinen zu ihr gesagt. »Gönnt Euch Ruhe, bis Ihr wieder ganz erholt seid.« Er hatte freundlich, ja, schon fast väterlich dazu gelächelt. »Jeder wird es verstehen, es wird auch Zeit, dass Hauptmann Janiks etwas von der Verantwortung erlernt, die es braucht, will man die Garda führen.«
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