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Der Fälscher aus dem Jenseits

Der Fälscher aus dem Jenseits

Titel: Der Fälscher aus dem Jenseits
Autoren: Pierre Bellemare
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verriet, waren die Würfel gefallen. Die Gauner konnten sie jetzt ungehindert benutzen, jedenfalls so lange, bis sie ihren Fehler bemerkt hatte.
     

Die echten falschen Tausender
     
    »Monsieur Genet! Pst, Monsieur Genet!«
    Louis Genet, der so gerufen wurde, war ein verlebter Mann um die fünfzig. Fettiges Haar, Schmerbauch, rotes Gesicht und immer einen Zigarettenstummel im Mundwinkel. Wirklich keine vornehme Erscheinung, aber ihm war das schnurzegal. Seit dem Tod seiner Frau lebte er allein und es war ihm völlig gleichgültig, ob er auf andere einen guten Eindruck machte. Im Grunde interessierte er sich nur für Geld, genauer gesagt für die Miete, die er jeden Monat eintrieb. Louis Genet übte nämlich den ehrenvollen Beruf eines Mietwucherers aus.
    Anders konnte man die Vermietung möblierter Zimmer, die er in seinem Haus in Clichy anbot, nämlich nicht nennen. Eine runtergekommene, fünfstöckige Bruchbude ohne Komfort, in der mittellose Leute, die kein Geld hatten, anderswo unterzukommen, zusammengepfercht waren. Er selbst wohnte im Erdgeschoss unter kaum besseren Verhältnissen als seine unglücklichen Mieter, nur waren ihm seine Lebensumstände völlig gleichgültig.
    »Ich muss mit Ihnen reden, Monsieur Genet.«
    Es war seine Nachbarin aus dem Einfamilienhaus gegenüber, Lucienne Lefèvre, die den Hausbesitzer so ansprach. Die Witwe Lefèvre war um die sechzig, sah aber älter aus. Ihr Mann war im Ersten Weltkrieg bei
    Verdun gefallen, was noch gar nicht so lange her war, da wir den Juli 1937 schreiben.
    »Was ist los, Madame Lefèvre?«
    Die Witwe senkte die Stimme.
    »Nicht auf der Straße. Kommen Sie mit in den Garten.«
    Neugierig folgte ihr Louis Genet in das Gärtchen ihres Hauses.
    »Es handelt sich um Ihren Mieter im vierten Stock, den Italiener.«
    »Vincenzo? Das ist kein Italiener, sondern ein Franzose.«
    »Also ich nenne ihn >den Italiener<. Haben Sie seine Uhrzeiten bemerkt? Der geht jeden Morgen um Viertel vor sechs aus dem Haus und kommt erst um elf Uhr abends wieder.«
    »Sicher hat er einen weiten Weg zur Arbeit.«
    »Wissen Sie, was er von Beruf ist?«
    »Nein. Ich hab ihn nie danach gefragt. Solange er die Miete zahlt. Er wohnt jetzt seit einem Jahr hier und ich hatte nie Ärger mit ihm.«
    Anscheinend war Louis Genet verärgert. Mürrisch musterte er die Witwe. Aber die ließ sich nicht von ihrem Gedankengang abbringen.
    »Ich frag Sie nur, weil ich mir nicht sicher bin, ob er wirklich jeden Morgen zur Arbeit aus dem Haus geht.«
    »Wie bitte?«
    »Der arbeitet eher bei Ihnen. Das ist nämlich sonderbar, wissen Sie, wenn er abends um elf nach Hause kommt, macht er Licht und das brennt dann die ganze Nacht. Er löscht es erst um Viertel vor sechs, wenn er fortgeht.«
    »Schläft er denn nicht?«
    Der Mietwucherer bekam vor Verblüffung den Mund nicht mehr zu, wobei ihm ein vergilbter Zigarettenstummel im Mundwinkel klebte. Das war wohl das erste Mal, dass jemand bei ihm nicht schlief.
    »Nein. Erst dachte ich, der schläft vielleicht bei brennendem Licht. Schließlich gibt es so komische Käuze. Aber das ist es nicht! Man sieht seinen Schatten hinter den Fensterläden. Manchmal öffnet er sie sogar und steckt den Kopf aus dem Fenster, als ob er jemanden sucht.«
    »Vielleicht trifft er sich mit einer Frau.«
    »Nein, keine Frau. Nicht mal ein Mann. Die ganze Nacht kommt niemand. Da bin ich mir sicher. Ich leide nämlich an Schlaflosigkeit.«
    »Ja und?«
    Die Kriegswitwe senkte die Stimme: »Also, wenn Sie meine Meinung hören wollen, Monsieur Genet, das ist ein Verschwörer, ein Terrorist!«
    »Verdammt!«
    Louis Genet fing an zu schwitzen. Mit der Hand fuhr er sich durch das fettige Haar. Diese alte Eule hatte sicher Recht. 1937 sprach man nämlich von nichts anderem als von Komplotten und Verschwörungen. Da gab es die Cagoule, eine geheimnisvolle, rechtsextremistische Organisation, die überall Attentate verübte, und dann waren da noch die Spione der italienischen Faschisten und deutschen Nazis, von den Anarchisten jeder Couleur ganz zu schweigen.
    Nur von ihm, von Victor Vincenzo, hatte er so etwas nie erwartet. Ein waschechter Franzose, trotz seines Namens, der ganz in der Nähe in Colombes geboren war, von allen Mietern der ordentlichste, der zudem immer gleich am Ersten des Monats im Voraus zahlte.
    Wenn er das mit dem Geld seiner Organisation tat, war das natürlich nicht schwierig.
    »Was haben Sie vor? Die Polizei verständigen?« Unwillkürlich zuckte Louis Genet
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