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Der Facebook-Killer

Der Facebook-Killer

Titel: Der Facebook-Killer
Autoren: Oliver Hoffmann , Thommy Mardo
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den Kopf. Dann fuhr er fort: „Ich kann sie einfach nicht loslassen. Ich hoffe trotz allem immer noch, dass sie irgendwann den ersten Schritt auf mich zugehen wird, und alles wird wieder gut.“
    „Warum sollte sie das tun?“, fragte die Fremde nüchtern.
    „Hören Sie mal“, fuhr Mafro auf, „schließlich hat sie mich betrogen und nicht umgekehrt …“ Scheiße. Das hatte er nicht sagen wollen.
    „Aber das war nicht der Grund, warum sie Sie verließ, oder?“, hakte die Fremde nach. „Es ging nicht um einen unverarbeiteten Vorfall von Untreue.“
    ‚Unverarbeiteter Vorfall von Untreue. Interessante Formulierung‘, dachte Mafro. Laut sagte er:
    „Sie haben recht. Sie … sie ging, weil sie es nicht mehr aushielt mit mir. Mein … mein Leben ist damals ziemlich aus den Fugen geraten. Ist es immer noch. Aus den Fugen, meine ich.“ Dann, trotzig: „Seither saufe ich … und Sie sehen ja selbst, wie es hier aussieht.“
    „Ja“, antwortete sie und schien seltsamerweise amüsiert. „Ich lebe hier in Paris bei einer guten Bekannten, einer Kollegin. Das nächste Mal treffen wir uns dort.“ Eine Kunstpause. Dann: „In Ihrer Personalakte gibt es einen handschriftlichen Vermerk Ihres Dienstvorgesetzten aus jener Zeit. Er erwähnt einen ‚Absturz‘. Um was ging es da?“
    „Ich wurde nicht fertig mit dem, was mit einem Freund geschehen war. Genauer gesagt mit meinem besten Freund. Mit meinem toten besten Freund. Mit Kyl.“
    „Ja, Kyl“, sagte sie und hatte plötzlich von irgendwoher ein in schwarzes Leder gebundenes Notizbuch und einen Füllfederhalter in der Hand, der wie alles an ihr sündhaft teuer aussah.
    „Genau. Also eigentlich hieß er Kylian Brousse. Er wurde nur 29 Jahre alt. Er arbeitete nicht nur in meinem Team, er war mein bester Freund. In jener Nacht im August rief er mich an, sagte, ich müsste dringend ins 8. Arrondissement kommen, ihn auf den Champs Elysées treffen. Er hätte eine ganz heiße Spur in unserem aktuellen Fall. Ich also hin, parke vor dem Adidas Store und gehe die paar Schritte. Er wollte vor dem
The Travellers
auf mich warten, das ist ein Hotel dort. Ich sah ihn, rief ihn an und ging auf ihn zu, doch dann zischte eine Kugel knapp an meinem Kopf vorbei und traf Kyl an der Schläfe.“
    „An was für einem Fall waren Sie beide damals dran?“, fragte seine Besucherin. Die Spitze ihres Füllers flog über die karierten Notizbuchseiten.
    „Das passierte während einer Ermittlungsarbeit an einem bestialischen Mordfall“, antwortete Mafro. „Sicher haben Sie davon gelesen – jemand hatte im Frühjahr in den Katakomben eine Studentin zu Tode gesteinigt und mit Blut einen Bibelvers auf ihren Körper geschrieben. Wir haben monatelang ermittelt, ohne eine brauchbare Spur zu finden. Sie können sich vorstellen, wie aufgeregt ich war, als Kyl am Telefon sagte, er habe einen Durchbruch erzielt … und dann jäh ein gedämpfter Knall aus der Ferne, und plötzlich war an Kyls rechter Kopfhälfte überall Blut, und noch bevor der Rettungswagen kam, verblutete er in meinen Armen.“
    Mafro hielt inne. Dann sagte er:„ Kyl war sieben Jahre jünger als ich. Im September wäre er dreißig geworden.“
    Die Frau sah zu ihm herüber, doch er nahm sie gar nicht wahr. In seinem Kopf war Mafro wieder vor dem
Travellers
, in jener Nacht, und hielt den sterbenden Kyl in den Armen. Kyls letztes Wort hatte sich in Mafros Gedächtnis eingebrannt wie Stigmata, jenes letzte, gehauchte Wort, das Kyl noch hatte sprechen können, während er Mafro mit leeren Augen ansah und dann das Bewusstsein verlor: „Danke.“
    Danke – ein tolles Wort. Es öffnet Türen und Schranken, genauso wichtig wie „bitte“, das hatte Mafro schon in seiner frühen Kindheit und während seiner gut-bürgerlichen Erziehung gelernt, aber seit jener Sommernacht hasste er dieses Wort. Er hasste es, das Wort zu hören, und er hasste es, das Wort zu sagten. Also hörte er weg, wenn jemand das Wort verwendete, und er selbst hatte das Synonym des Grauens seit jener unseligen Nacht aus seinem Wortschatz gestrichen – was die Beziehung zu seiner Freundin und das Leben generell nicht unbedingt erleichtert hatte.
    Mafro stand auf und blickte aus den großen Balkonfenstern hinaus ins „große Gelausche“, wie sie es genannt hatte, die Hände in den Taschen seiner Jeans zu Fäusten geballt. Der Schnee fiel jetzt so dicht, dass sich auf dem Balkon schon eine veritable Schneedecke gebildet hatte und die leeren Flaschen draußen
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