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Der Facebook-Killer

Der Facebook-Killer

Titel: Der Facebook-Killer
Autoren: Oliver Hoffmann , Thommy Mardo
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flaniert wären. Seit sechzehn Uhr … das bedeutete fünf Stunden. Fünf Wodka-Red Bull, wenn man sich an jedem Glas gut festhielt. Aber Mafro wurde immer schlechter im Festhalten, immer unausdauernder. Vielleicht sollte er auf Kaffee umsteigen …
    A propos umsteigen: Gegen Mittag hatte er sich am Kontoauszugsdrucker der BNP Paribas einen Überblick über den Stand seiner Finanzen verschafft. Am Ende des Geldes war schon wieder mal verdammt viel Monat übrig. Das Gehalt aus seiner Polizeitätigkeit kam immer am letzten Donnerstag des Monats … am 29. Noch eine knappe Woche, und die Feiertage zählten doppelt. Der Festtagsschmerz verlangte, wie Mafro aus Erfahrung wusste, nach intensivem Unterdrückungstrinken. Das hieß, er würde bald auf eine billigere Kneipe umsteigen müssen. Egal … in dem unratübersäten Gassenwirrwarr nördlich des Boulevard St. Germain gab es billige Kneipen genug, in denen auch am Ultimo noch ein Vollrausch drin war. An die würde er sich eh gewöhnen müssen, fürchtete Mafro – es war seiner Einschätzung nach nur noch eine Frage der Zeit, bis René die Schnauze von ihm voll hatte und ihm die Rückendeckung entzog. Dann war es Essig mit Home Office und mit Geld … Mafro machte sich eine geistige Notiz, später im Netz mal die Tagessätze des RSA, des Revenu de solidarité active, zu recherchieren. Er hätte früher
nie
gedacht, dass er irgendwann mal dem Staat auf der Tasche liegen würde, aber arbeitsmäßig ging es so nicht weiter, und von irgendwas musste er seinen Alkohol ja finanzieren.
    Draußen hupte durchdringend ein Auto. Mafros inzwischen schon leicht alkoholstierer Blick wanderte durch die Scheibe des im linken Flügel des Erdgeschosses des Musée de l’Homme gelegenen Cafés nach draußen. Immerhin spiegelte das, was er sah, wunderbar wider, wie es in ihm aussah: Schneefall, dick und grau, vor anthrazitfarbenem Nachthimmel.
    „Du liegst im großen Gelausche, umbuscht, umflockt …“, sagte eine Frauenstimme dicht an seinem Ohr. Nanosekunden bevor die tiefen, fast geschnurrten Worte mit dem kaum merklichen deutschen Akzent seinen Gehörgang erreichten, erwischte ihn ein Hauch von Parfüm: Sandelholz und eine leicht süße, aber winterlich-schwere Note in der Tiefe.
    Diese beiden Sinneseindrücke rissen Mafro aus seiner Schwermut. Sie passten so gar nicht in seine aktuelle Sicht der Wirklichkeit, dass er hochschreckte, in die Richtung herumfuhr, aus der die Worte gekommen waren, und sein Glas umwarf. Sein kaum angerührter Wodka-Red Bull schwappte über den niedrigen Tisch. Was für Mafro unter anderen Umständen einer Katastrophe gleichgekommen wäre, interessierte ihn in diesem Augenblick kein bisschen. Er hatte nur Augen für die Frau, die eine Spur zu dicht an ihn herangetreten war.
    Sie war groß, größer als er, und Mafro war wahrlich kein Zwerg. Langes, wildes, honigblondes Haar, krause Locken, olivgrüne, leicht schrägstehende Augen mit Bernsteinschimmer in einem perfekt geschminkten Gesicht. Ein cremeweißer, flauschiger Wollpullover, der selbstgestrickt aussah, aber im schalartig überdimensionierten Rollkragen todsicher das Etikett irgendeines Designerlabels aus Mailand oder London trug. Verwaschene blaue Jeans mit abgewetzten Stellen in dem Stil, den man, wenn Mafro den Illustrierten bei seinem Zahnarzt Glauben schenken konnte, Boyfriend-Look nannte. Das Ensemble komplettierten wadenhohe cremefarbene Wildlederstiefel, die zwar derb wirkten, aber schwindelerregende Absätze hatten, was sicherlich nicht unwesentlich zur auffallenden Größe seines überaus attraktiven Gegenübers beitrug.
    „Wie … bitte?“, brachte er schließlich wenig eloquent hervor.
    „Du liegst im großen Gelausche, umbuscht, umflockt“, wiederholte die Frau. „Paul Celan,
Du liegst
. Eines meiner Lieblingsgedichte und noch dazu eine der poetischsten Invokationen, sprich Umschreibungen, von Schnee, die ich kenne. Darf ich mich setzen?“
    „Ähm … ja. Ja klar.“ Er machte eine fahrige Geste auf den Sessel neben seinem und stellte fest, dass sich eine kleine Wodka-Red Bull-Pfütze auf der Ledersitzfläche befand. Sie hatte es auch gesehen, zog kurz die Brauen hoch, drehte kurzerhand einen Sessel vom Nachbartisch um, ohne das dort turtelnde Pärchen um Erlaubnis zu fragen und nahm in einer fließenden, fast grazil anmutenden Bewegung Platz.
    „Mögen Sie Celan?“
    „Ähm …“ Mafro merkte, dass er starrte und stammelte und brachte ihr leise spöttisches Lächeln völlig
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